Hallo
1981 war ich im dritten Lehrjahr als Maschinenmechaniker in Winterthur.
Am 6. Januar, Dienstagabend, rief ein Kollege an, und sagte, dass morgen die Dampfschneeschleuder eine Testfahrt ab Pontresina unternehmen würde.
Er ginge hin, ob ich auch käme. Natürlich sagte ich zu, wusste allerdings nicht, ob das meinem Chef passte. "Kein Problem" dachte ich, "Ich rufe ihn einfach an!" Es war aber ein Problem: Der Chef war nicht zu erreichen. Auch privat nicht. Und Handys kannte man damals noch nicht.
Also, am Morgen früh zum Bahnhof, Bude anrufen. Ab 6,00 Uhr waren die Leute dort schon am arbeiten. Leider der Empfang nicht. Also nahm niemand das Telefon ab. Nun gut. Dampf hat Vorrang! Ab in den Zug nach Zürich. Dort den Kollegen getroffen und in den Churer Schnellzug umgestiegen. Wir wollten uns in Landquart eine Erlaubnis holen um auf der Schleuder mitzureiten. Und dann weiter nach Pontresina.
Im Schnellzug dann eine angenehme Überraschung, wenigstens für uns: Herr Corbat, der "Dampfspezialist" der SBB war auch unterwegs. Auch nach Landquart. Auch in Sachen Dampf: Er sollte die G4/5 anschauen, und für sie eine Expertise für eine Revision anfertigen.
Corbat hatte in den 70er Jahren, mit damals wegen der Krise unterbeschäftigten Lokführern, zuerst die Eb3/5, dann die B3/4 und zum Schluss den Dampftriebwagen CZm1/2 wieder aufgearbeitet. Die Führer durften dann auch die Loks fahren. Die Namen Schnetz, Landenberger und Zinsli sind mir noch geläufig.
Aimé Corbat, wie er leibt und lebt:
Offensichtlich macht ein Dampfleben alt: Aimé Corbat starb am 16. Dezember 2010 im 96. Altersjahr.
http://www.corbat.ch/aime/
Für Unterhaltung war also gesorgt.
In Landquart meldeten wir uns am Empfang der Hauptwerkstätte und trugen unser Anliegen vor.
Es wurde uns freundlich beschieden, eine Mitfahrt sei aus sicherheitstechnischen Gründen nicht möglich.
Nun ja, dann halt Plan B: nur fotografieren.
Beim warten auf die Weiterfahrt konnte ich dann meinen Chef endlich erreichen.Er gab dann nachträglich sein Einverständnis. Es blieb ihm ja auch nichts anderes übrig. Gottseidank hat ihm seine Frau erzählt, dass ich am Abend vorher dreimal angerufen habe. So war er mindestens vorgewarnt, dass etwas im Busch war.
Kurz und Gut:
Auf nach Pontresina.
Unterwegs merkten wir dann, dass in der Nacht einiges Los war:
Der ABe4/4 in Filisur, für den Personenzug (sagte man damals noch) nach Davos, hatte offensichtlich einiges mitgemacht.
Der Kondukteur fror offensichtlich auch
In Muot dann Kreuzung. Ein Schnellschuss. Denn unmittelbar nachher wurde man eingestaubt.
Übrigens: zu der damaligen Zeit war alles Stammnetzrollmaterial, ausser die Triebwagen, noch grün.
In Samedan, umsteigen nach Pontresina. Mit Überraschung: Die RhB hatte an diesem Tag alles draussen, was sich noch irgendwie aus dem Depot prügeln liess:
Das Krokodil war damals noch allgegenwärtig und interessierte nicht besonders.
Aber die Ge2/4, das war schon ein Ding!
Ein Einsatz vor dem Spurpflug dürfte nicht zu den schonenden Behandlungen zählen!
Ja, dann kam der Zug nach Pontresina und die nächste Ueberraschung:
Eine Ge4/6!
In Punt Mragl wurde dann erlaubt, nach vorne zu rennen und ein Blitzfoto zu schiessen:
Der Kondukteur und Kollege Olaf schauen schon ungeduldig!
Endlich, Ankunft in Pontresina.
Alt und (damals) neu, friedlich vereint. Man beachte übrigens die Leuchtanzeige "11". Pontresina hatte damals brandneu ein umschaltbare Gleis erhalten: Die Berninabahn fährt mit 1000V Gleichstrom und das Stammnetz der RhB ist mit 11'000V 16.7 Hz Wechselstrom elektrifiziert.
Grund war, dass die Berninaexpresszüge, ab Samedan mit den Zweikraft - Dieseln Gem4/4 geführt wurden, die nur unter Gleichstrom elektrisch fahren konnten.In Pontresina konnte man damals von Samedan her signalmässig nur auf die Gleise 1 und 2 einfahren, die Wechselbestromt waren. Einen Halt ausserhalb der Station zur Systemumstellung, wollte man nicht (man war ja ein Express!), so dieselten die Züge munter bis Morteratsch, dem ersten Halt, durch. Erst dort wurde auf elektrisch umgestellt.
Hier übrigens ein Bild von so einem Express, 2 Jahre früher, unterhalb der Alp Grüm aufgenommen:
Nun wieder im Winter:
Die Ge 4/6 umfuhr den Zug:
Die Lok ist übrigens erhalten geblieben. Sie ist heute Museumsfahrzeug.
Die Berninabahn machte sich auch auf die Beine:
So, nun kam der grosse Augenblick:
Vor dem Depot mottete was vor sich hin:
Nun, wenn wir schon da waren, konnten wir doch mal fragen, ob wir mitfahren könnten. Pontresina ist ja weit weg von Landquart!
Und wirklich: Da ein Triebwagen mitfuhr, wurde uns der Aufenthalt darin gnädigerweise gewährt.
Schön, mehr wollten wir auch nicht!
Glücklich zogen wir nach draussen, wo es langsam interessant wurde:
Die Anheizperiode war zu Ende und das Gerät wurde vorgewärmt.
Der Begleit -Triebwagen ABe4/4 30 von 1911, wurde aus dem Depot geholt:
Auch dieses Fahrzeug ist erhalten geblieben und, heute in Gelb als Nostalgietriebwagen noch in Betrieb.
Zwischendurch machte sich die Ge4/6 wieder auf die Socken:
Dann wurden wir, freundlich aber bestimmt, auf den Perron geschickt, weil man nun das Gleis räumen wolle. Diese Fahrt war zwar eine Probefahrt, aber eine sparsame Bahn wie die RhB fährt nicht nur so zum Spass herum. In der Nacht vorher hatten die Räumdienste keine Zeit, alle Gleise zu räumen. Der Schnee wurde einfach aufs Nebengleis gekippt, und die Schneeschleuder durfte den dann wegschleudern.
Zuerst natürlich in Pontresina selber:
Man merkt: eine Schneeschleuder in Betrieb ist nicht unbedingt ein gutes Fotsujet.
Nachdem die Schleuder zurückgefahren war, kam der Triebwagen dran und man machte sich zur Abfahrt bereit. Die Fahrt sollte bis Berninahäuser, Bernina Suot gehen.
Der Herr mit der Zipfelmütze war der Depotchef, der uns mitfahren liess. Hier nochmals ein herzliches Danke an ihn!
Oben sieht man die Abdeckung, mit der die Auswurfrichtung geändert werden konnte. Die Klappen am Schleuderrad mussten dann jeweils von Hand umestellt werden. Weil sich auch die Drehrichtung des Schleuderrades änderte. Das Ganze war sehr robust. Der Querschnitt der Stacheln, die aus dem Rad hervorstanden, war mindestens 40mm.
Auch die Klappen waren aus 10mm Blech. Die Leute erzählten uns, dass diese Schleuder gerade bei Grundlawinen, in deren festgepressen Schnee Steine und Bäume drin sind, diese Schleuder allen andern überlegen war. Man habe bei der SLM angefragt, ob man eine Dieselvariante neu bauen könne, was aber zu teuer war. Der Heizer erzählte, oberhalb Morteratsch sei Strasse und Bahn verschüttet gewesen. Die Strassenräumer hätten sie ausgelacht, als sie mit diesem Stück Museum kamen, wie sie es spöttisch nannten. Man wettete um eine Kiste Veltliner, für die Mannschaft, die zuerst durch war. Der Rest dürfte klar sein
Nach Aussage sind Bäume bis ca. 10cm kein Problem. Und bei Steinen und Fels nehmen die Klappen, bei einem aufmerksamen Schleuderführer, keinen Schaden, während die Vorschneidepropeller bei den Beilhack Schleudern sehr exponiert sind.
Gruss Guru