RhB, Winter und Xrot d 9213 im Jahr 1981 Teil 1

  • Hallo
    1981 war ich im dritten Lehrjahr als Maschinenmechaniker in Winterthur.
    Am 6. Januar, Dienstagabend, rief ein Kollege an, und sagte, dass morgen die Dampfschneeschleuder eine Testfahrt ab Pontresina unternehmen würde.
    Er ginge hin, ob ich auch käme. Natürlich sagte ich zu, wusste allerdings nicht, ob das meinem Chef passte. "Kein Problem" dachte ich, "Ich rufe ihn einfach an!" Es war aber ein Problem: Der Chef war nicht zu erreichen. Auch privat nicht. Und Handys kannte man damals noch nicht.
    Also, am Morgen früh zum Bahnhof, Bude anrufen. Ab 6,00 Uhr waren die Leute dort schon am arbeiten. Leider der Empfang nicht. Also nahm niemand das Telefon ab. Nun gut. Dampf hat Vorrang! :) Ab in den Zug nach Zürich. Dort den Kollegen getroffen und in den Churer Schnellzug umgestiegen. Wir wollten uns in Landquart eine Erlaubnis holen um auf der Schleuder mitzureiten. Und dann weiter nach Pontresina.

    Im Schnellzug dann eine angenehme Überraschung, wenigstens für uns: Herr Corbat, der "Dampfspezialist" der SBB war auch unterwegs. Auch nach Landquart. Auch in Sachen Dampf: Er sollte die G4/5 anschauen, und für sie eine Expertise für eine Revision anfertigen.
    Corbat hatte in den 70er Jahren, mit damals wegen der Krise unterbeschäftigten Lokführern, zuerst die Eb3/5, dann die B3/4 und zum Schluss den Dampftriebwagen CZm1/2 wieder aufgearbeitet. Die Führer durften dann auch die Loks fahren. Die Namen Schnetz, Landenberger und Zinsli sind mir noch geläufig.

    Aimé Corbat, wie er leibt und lebt:

    Offensichtlich macht ein Dampfleben alt: Aimé Corbat starb am 16. Dezember 2010 im 96. Altersjahr.
    http://www.corbat.ch/aime/

    Für Unterhaltung war also gesorgt.
    In Landquart meldeten wir uns am Empfang der Hauptwerkstätte und trugen unser Anliegen vor.
    Es wurde uns freundlich beschieden, eine Mitfahrt sei aus sicherheitstechnischen Gründen nicht möglich.
    Nun ja, dann halt Plan B: nur fotografieren.
    Beim warten auf die Weiterfahrt konnte ich dann meinen Chef endlich erreichen.Er gab dann nachträglich sein Einverständnis. Es blieb ihm ja auch nichts anderes übrig. Gottseidank hat ihm seine Frau erzählt, dass ich am Abend vorher dreimal angerufen habe. So war er mindestens vorgewarnt, dass etwas im Busch war.

    Kurz und Gut:
    Auf nach Pontresina.
    Unterwegs merkten wir dann, dass in der Nacht einiges Los war:
    Der ABe4/4 in Filisur, für den Personenzug (sagte man damals noch) nach Davos, hatte offensichtlich einiges mitgemacht.

    Der Kondukteur fror offensichtlich auch :)

    In Muot dann Kreuzung. Ein Schnellschuss. Denn unmittelbar nachher wurde man eingestaubt.

    Übrigens: zu der damaligen Zeit war alles Stammnetzrollmaterial, ausser die Triebwagen, noch grün.

    In Samedan, umsteigen nach Pontresina. Mit Überraschung: Die RhB hatte an diesem Tag alles draussen, was sich noch irgendwie aus dem Depot prügeln liess:

    Das Krokodil war damals noch allgegenwärtig und interessierte nicht besonders.

    Aber die Ge2/4, das war schon ein Ding!

    Ein Einsatz vor dem Spurpflug dürfte nicht zu den schonenden Behandlungen zählen!

    Ja, dann kam der Zug nach Pontresina und die nächste Ueberraschung:
    Eine Ge4/6!
    In Punt Mragl wurde dann erlaubt, nach vorne zu rennen und ein Blitzfoto zu schiessen:

    Der Kondukteur und Kollege Olaf schauen schon ungeduldig!

    Endlich, Ankunft in Pontresina.

    Alt und (damals) neu, friedlich vereint. Man beachte übrigens die Leuchtanzeige "11". Pontresina hatte damals brandneu ein umschaltbare Gleis erhalten: Die Berninabahn fährt mit 1000V Gleichstrom und das Stammnetz der RhB ist mit 11'000V 16.7 Hz Wechselstrom elektrifiziert.
    Grund war, dass die Berninaexpresszüge, ab Samedan mit den Zweikraft - Dieseln Gem4/4 geführt wurden, die nur unter Gleichstrom elektrisch fahren konnten.In Pontresina konnte man damals von Samedan her signalmässig nur auf die Gleise 1 und 2 einfahren, die Wechselbestromt waren. Einen Halt ausserhalb der Station zur Systemumstellung, wollte man nicht (man war ja ein Express!), so dieselten die Züge munter bis Morteratsch, dem ersten Halt, durch. Erst dort wurde auf elektrisch umgestellt.
    Hier übrigens ein Bild von so einem Express, 2 Jahre früher, unterhalb der Alp Grüm aufgenommen:

    Nun wieder im Winter:
    Die Ge 4/6 umfuhr den Zug:


    Die Lok ist übrigens erhalten geblieben. Sie ist heute Museumsfahrzeug.

    Die Berninabahn machte sich auch auf die Beine:

    So, nun kam der grosse Augenblick:
    Vor dem Depot mottete was vor sich hin:

    Nun, wenn wir schon da waren, konnten wir doch mal fragen, ob wir mitfahren könnten. Pontresina ist ja weit weg von Landquart! :)
    Und wirklich: Da ein Triebwagen mitfuhr, wurde uns der Aufenthalt darin gnädigerweise gewährt.
    Schön, mehr wollten wir auch nicht!

    Glücklich zogen wir nach draussen, wo es langsam interessant wurde:


    Die Anheizperiode war zu Ende und das Gerät wurde vorgewärmt.

    Der Begleit -Triebwagen ABe4/4 30 von 1911, wurde aus dem Depot geholt:

    Auch dieses Fahrzeug ist erhalten geblieben und, heute in Gelb als Nostalgietriebwagen noch in Betrieb.

    Zwischendurch machte sich die Ge4/6 wieder auf die Socken:

    Dann wurden wir, freundlich aber bestimmt, auf den Perron geschickt, weil man nun das Gleis räumen wolle. Diese Fahrt war zwar eine Probefahrt, aber eine sparsame Bahn wie die RhB fährt nicht nur so zum Spass herum. In der Nacht vorher hatten die Räumdienste keine Zeit, alle Gleise zu räumen. Der Schnee wurde einfach aufs Nebengleis gekippt, und die Schneeschleuder durfte den dann wegschleudern.

    Zuerst natürlich in Pontresina selber:



    Man merkt: eine Schneeschleuder in Betrieb ist nicht unbedingt ein gutes Fotsujet. :)

    Nachdem die Schleuder zurückgefahren war, kam der Triebwagen dran und man machte sich zur Abfahrt bereit. Die Fahrt sollte bis Berninahäuser, Bernina Suot gehen.


    Der Herr mit der Zipfelmütze war der Depotchef, der uns mitfahren liess. Hier nochmals ein herzliches Danke an ihn!

    Oben sieht man die Abdeckung, mit der die Auswurfrichtung geändert werden konnte. Die Klappen am Schleuderrad mussten dann jeweils von Hand umestellt werden. Weil sich auch die Drehrichtung des Schleuderrades änderte. Das Ganze war sehr robust. Der Querschnitt der Stacheln, die aus dem Rad hervorstanden, war mindestens 40mm.
    Auch die Klappen waren aus 10mm Blech. Die Leute erzählten uns, dass diese Schleuder gerade bei Grundlawinen, in deren festgepressen Schnee Steine und Bäume drin sind, diese Schleuder allen andern überlegen war. Man habe bei der SLM angefragt, ob man eine Dieselvariante neu bauen könne, was aber zu teuer war. Der Heizer erzählte, oberhalb Morteratsch sei Strasse und Bahn verschüttet gewesen. Die Strassenräumer hätten sie ausgelacht, als sie mit diesem Stück Museum kamen, wie sie es spöttisch nannten. Man wettete um eine Kiste Veltliner, für die Mannschaft, die zuerst durch war. Der Rest dürfte klar sein :)

    Nach Aussage sind Bäume bis ca. 10cm kein Problem. Und bei Steinen und Fels nehmen die Klappen, bei einem aufmerksamen Schleuderführer, keinen Schaden, während die Vorschneidepropeller bei den Beilhack Schleudern sehr exponiert sind.


    Gruss Guru

    6 Mal editiert, zuletzt von guru61 (16. Dezember 2015 um 10:29)

  • Nun waren wir unterwegs:

    In Surovas war Halt und Kreuzung:

    Ich habe nie vorher und nachher so gefroren wie an dieser Fahrt:
    Die Schleuder lief dauernd und kratzte Schnee zusammen, der wurde als ganz feiner Staub ausgeworfen. Ein Teil kam auf den Triebwagen runter. Der Staub unterkühlte das ungeschützte Gesicht (eine Kappe habe ich nicht für nötig befunden) in Sekundenschnelle. Das ergab eine so stechenden Schmerz, der uns sofort vom Fenster vertrieb. Im warmen Wagen dauerte es minutenlang, bis der Schmerz wieder weg war.

    Einfahrt in Morteratsch. 50 - 70cm Schnee warens sicher.

    Auch dort wurde geräumt:

    Die Geräuschkulisse war übrigens sehr interessant: Man hört die langsamen Auspuffschläge der Fahrtriebwerke, überlagert vom Auspuff der Schleudermaschine. Das hört sich an, wie Schleudern. Über dem langsamen "Puff Puff Puff Puff" erscheint dann ein schnelles Tschtschtschtschtsch". Sowas hatte ich bis dahin nie gehört.

    Weiter gings:

    Ankunft in Bernina Suot.

    Hier wurde Wasser gefasst. Im Gebäude ist übrigens noch eine Drehscheibe, in der die Schleuder gewendet werden konnte.

    Nachher machten wir uns bereit zur Rückfahrt. Da der Triebwagen am Ende war, ging das ohne Rangierarbeiten. Die Schleuder war nun am Schluss.


    Für Fotos war es nun zu dunkel. 100 ASA /18 Din erzwangen dies!

    Bis auf eines!
    In Morteratsch hiess es, wir dürfen auf die Schleuder!
    Waaansinn!
    Da hat uns der Depotchef dann einiges über die Schleuder erzählt.
    Frieren musst am übrigens nicht: Man hatte die Rauchkammer im Rücken.
    Dabei ist dann das letzte Bild vom Schleuderstand entstanden:

    Ich hoffe, die Reise hat Spass gemacht.

    Ich habe es nie bereut, dass ich einen Ferientag hergeben musste. Solche Erlebnisse trägt man zeitlebens in sich.
    Nachholen kann ichs nicht mehr. Tempi Passati!

    Gruss Guru

    3 Mal editiert, zuletzt von guru61 (16. Dezember 2015 um 15:21)

  • Hallo Guru,

    bei 6'C und Dauerregen kam so recht keine adventliche Winterstimmung auf - bis ich Deinen Bericht gelesen habe. Ein herrlicher Wintertraum, und dazu noch hochinteressant.

    Ganz vielen Dank für die aussagekräftigen Bilder und die kompetenten Erläuterungen :spos:

    Eine Frage noch: ist die Schleuder kohle- oder ölgefeuert? Die geschlossene Abdeckung sieht zunächst nach Ölfeuerung aus, die Qualmwolken auf den späteren Bildern aber nach Kohlefeuer. Ich tippe auf Kohle und die Kohlenkastenabdeckung wegen des herabrieselnden, weggeschleuderten Schnees, der ja sonst wohl im Kohlenkasten die verbrauchte Kohle durch Schnee ersetzt hätte?


    Beste Grüße aus dem Bergischen Land

    Thomas

  • Hallo Guru,

    danke auch von mir für diesen Bilderbogen. Anfang der 1990-er gab es mal ein Video vom EK-Verlag, welches die Dampfschneeschleuder im Einsatz dokumentierte. Das war sehr interessant. In diesen Jahren war ich auch mehrfach an den Gleisen der RhB unterwegs, hauptsächlich Arosa, aber auch Albula-Strecke. Die Krokodile waren damals noch im Planeinsatz vor Güterzügen anzutreffen. Ebenso fuhr ein GmP von Samedan bis Thusis mit Krokodil, welchen ich öfters genutzt habe. An vielen Bahnhöfen wurde rangiert. Das war interessant. Die Bilder sind aber zum Großteil nicht gescannt. Ebenso war damals in Samedan auch noch eine der kastenförmigen Oldtimer-Loks anzutreffen. Auch diese Bilder sollte ich vielleicht mal aus der Versenkung holen. ;) Danke somit auch für die aufkommenden Erinnerungen. :spos:

    Gruß, René

  • Hallo Guru,

    ein wunderwarer Bildbericht und so recht nach meinem Sinn. Die Rhätische Bahn produziert fortwährend solch wunderschöne Fotomotive, allerdings kein Wunder - liegt doch die Streckenführung in einer beispielhaften Umgebung, gerade im Winter. Auch wir sind oft in Graubünden unterwegs und sind von der Bahn, der Landschaft und dessen Verbindung fasziniert.

    Danke für deinen Bericht.

    Freundliche Grüße
    Daniel S.

  • Zitat

    Original von ThomasKugel
    Hallo Guru,

    Eine Frage noch: ist die Schleuder kohle- oder ölgefeuert? Die geschlossene Abdeckung sieht zunächst nach Ölfeuerung aus, die Qualmwolken auf den späteren Bildern aber nach Kohlefeuer. Ich tippe auf Kohle und die Kohlenkastenabdeckung wegen des herabrieselnden, weggeschleuderten Schnees, der ja sonst wohl im Kohlenkasten die verbrauchte Kohle durch Schnee ersetzt hätte?

    Hallo Thomas
    Die Lok war Brikettgefeuert. :)

    Es ist wirklich so, dass die Loks der RhB einen anderen Kohlenkasten hatten: Er war sozusagen begehbar. Ein vorderer Abschluss fehlte. Die Briketts wurden sauber aufgestapelt und wurden erst unmittelbar vor der Verbrennung zerschlagen. Eine kleine Wanne nahm das Zerschlagene auf und diente als Speicher für eine Beschickung.

    Erst als die Warristor, die letze Firma die Briketts herstellte zumachte, hat man Stückkohlen verfüttert.
    Aus diesem Grund, weil man die Tender nicht umbauen und verschandeln wollte, werden auch heute noch die Kohlen in Säcken mitgeführt.

    Die Schleuder war für den harten Winterbetrieb gemacht. Darum war der Tender abgedeckt. Bei den klimatischen Bedingungen auf der Bernina, war dies das einzig Richtige.
    Gruss Guru

    4 Mal editiert, zuletzt von guru61 (15. Dezember 2015 um 15:46)

  • Danke für die Aufklärung, von dieser Besonderheit der Verfeuerung von Stapelbriketts habe ich noch nie gehört ... man lernt eben nicht aus :)


    Beste Grüße aus dem Bergischen Land

    Thomas

  • Zitat

    Original von ThomasKugel
    Danke für die Aufklärung, von dieser Besonderheit der Verfeuerung von Stapelbriketts habe ich noch nie gehört ... man lernt eben nicht aus :)

    Hallo Thomas
    Hast du schon mal mit Briketts geheizt?
    Wenn ja, was hast du für Erfahrungen?
    Ich habe die Dinger gehasst: Nicht wegen der Verbrennung, da waren sie maximal. Aber man nahm die etwa 5 Mal zur Hand, bis sie auf dem Rost waren: Vom Pallett in die Garette, von der Garette in den Führerstand, im Führerstand die Dinger zerdeppern, dann in den Kohlekasten schaufeln und zuletzt noch in die Feuerbüchse.
    Wenn man am anheizen war, ging das ja noch, wobei 1.5 Tonnen Briketts zerhacken nicht unbedingt eine Freude war. Wenn die Lok aber warm war, dann musste man sich ranhalten.
    Ich war froh, als es keine Briketts mehr gab! :D

    Gruss Guru

  • Hallo Guru,

    Danke für den interessanten Bericht und die Bilder.

    Briketts - für den Hausbrand war es bei uns gang und gebe. Wie groß waren die Briketts denn, dass man sie zerkleinern mußte?

    Gruß
    Micha

    Einmal editiert, zuletzt von Micha7fkb (15. Dezember 2015 um 15:06)

  • Zitat

    Original von Micha7fkb
    Hallo Guru,

    Danke für den interessanten Bericht und die Bilder.

    Briketts - für den Hausbrand war es bei uns gang und gebe. Wie groß waren die Briketts denn, dass man sie zerkleinern mußte?

    Gruß
    Micha

    Hallo Micha
    Du siehst sie auf dem oberen Bild. Sie waren etwa 30 x 20 x 15 cm. Ich habs nie nachgemessen. Sie waren ca. 5 kg schwer und wurden gedrittelt oder gesechstelt. An Besten ging dies, wenn man sie halb über das untere Brikett hervorzog und dann schlug. Allerdings bestand dann die Gefahr, dass man einen Finger unbewusst zwischen den Briketts gehalten hat. Spätestens beim ersten Schlag wurde das einem schlagartig bewusst. :D
    Zerschlagen wurden sie mit dem Kohlenhammer und, je nach Leistung entsprechen grob oder fein. Es gab natürlich fast keine Feinkohle und der Pechanteil wirkte als Zündelement, so dass sie sehr gut anbrannten.
    Auch zum Abdecken des Reservefeuers waren sie gut zu gebrauchen: Gedrittelt das Feuer abgedeckt und die Klappen geschlossen, konnte der Heizer beruhigt schlafen gehen. Er musste nicht Angst haben, dass das Feuer ausging, oder dass es abblies.

    Gruss Guru