Alles Reko, oder was?

  • Hallo,

    die Verwendung des Wortes Rekonstruktion sorgt ja immer mal wieder für Verwirrung. Selbst Fachbücher helfen hier oft nicht weiter. Ist etwa Rekonstruktion gar ein schizophrenes Wort?


    Eine Rekonstruktion ist im technischen Bereich die Wiederherstellung von etwas nicht mehr existierenden nach vorhanden Vorlagen (z.B. Zeichnungen oder Abbildungen), oder die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes. Sowohl der Vorgang als auch das Ergebnis werden als Rekonstruktion bezeichnet.
    Nach dieser Definition gibt es in Sachsen eigentlich nur eine rekonstruierte Schmalspurdampflok und zwar die I K Nr. 54.

    Möglich, dass mich jetzt einige schon auf dem Scheiterhaufen brennen sehen. Also schnell vor der Umsetzung dieses Vorhabens weiter im Text. ;)

    In der Russischen Sprache gibt es das Wort: "rekonstrukcija". Dieses ganz ähnliche Wort hat aber eine ganz andere Bedeutung. Es wird ausschließlich in technischen Bereich angewendet und bezeichnet die Modernisierung von etwas vorhandenem mit einhergehender Verbesserung des wirtschaftlichen Nutzens.
    Nach dem zweiten Weltkrieg war die Wirtschaft in der sowjetischen Besatzungszone unter starkem Einfluss und in großer Abhängigkeit von den Entscheidungen in Moskau. In Folge dessen fanden auch viele russische Begriffe in der Arbeitswelt Einzug und wurden entsprechend eingedeutscht. "Rekonstrukcija" machte man einfach zu Rekonstruktion (Kurzform: Reko) und damit hatte dieses Wort in der gerade gegründeten DDR eine neue, von dem russischen Wort übernommene, Bedeutung. Im eigentlichen Sinn der deutschen Sprache wurde es kaum noch angewendet.

    Die Verwendung des Wortes Rekonstruktion und der Kurzform Reko war in der DDR, auch umgangssprachlich, sehr populär. Als Reko wurde fast jede nur denkbare Modernisierung bezeichnet. Beispielsweise wurden Wohnungen, Häuser, sogar ganze Straßenzüge, aber auch industrielle Anlagen und sogar Kichenorgeln rekonstruiert. Da sich der Sozialismus gesetzmäßig als überlegene Gesellschafts- und Wirtschaftsform verstand, war der wirtschaftliche Nutzen einer Reko planmäßig vorgegeben. Oft gab es diesen Nutzen garnicht, aber es wurde so gut wie nie in Frage gestellt, eben weil nicht sein kann, was nicht sein darf.
    Nicht selten war eine Rekonstruktion so gründlich, dass von dem alten Bestand am Ende gar nichts übrig blieb, also eine Rekonstruktion als Neubau.

    Ein Rekonstrutionsprogramm gab es nicht nur bei der Deutschen Reichsbahn für Dampflokmotiven (für den Zeitraum von 1957 - 1967), sondern z.B. auch für die Fleischindustrie in der DDR (für den Zeitraum von 1986 - 1990).
    Ebenso wurden für sozialistische Bruderländer im Rahmen der Entwicklungshilfe Rekonstruktionsprogramme ausgearbeitet (z.B. für Mosambik).

    Doch nun zurück zu den sächsischen Schmalspurbahnen.
    Ab 1964 plante die Deutsche Reichsbahn den als Großteileerneuerung getarnten Neubau von einigen VI K - Maschinen, der in Folge bei sieben Loks bis 1966 ausgeführt wurde. In einem ersten Testbericht der DR werden diese Loks als "VI K Reko" bezeichnet (siehe: "Die Baureihen 99.64-71 und 99.19" von Lenhard, Rost und Schlegel, Seite 38). Die Merkmale einer Rekonstruktion waren auch Wunschgedanke bei der Konstruktion dieser Neubauloks (moderner und wirtschaftlicher). Ich finde die Bezeichnung dieser Dampfloks als Reko VI K daher nicht als falsch (und ich sehe auch keine Verwechslungsgefahr mit einer neubekesselten Altbau VI K ;) ).

    Nach dem Scheitern der Beschaffung von neuen Personenwagen aus Bulgarien für die sächsischen Schmalspurbahnen begann die DR 1977 mit der Modernisierung der vorhandenen Personenwagen. Wichtiges Ziel dabei war eine größere Wirtschaftlichkeit beim Betrieb und bei der der Unterhaltung der Wagen, eben ein klares Merkmal einer Rekonstruktion. Als Rekopersonenwagen bezeichnet, lassen sie sich auch besser von den Wagen unterscheiden, die in den 1950er Jahren in weitaus geringerm Umfang modernisiert wurden (diese werden fälschlicherweise oft auch als Altbauwagen bezeichnet). Die Einteilung der Wagen auf dieser Web-Seite -> ist für mich daher logisch und nachvollziehbar.

    Die Bezeichnung einer IV K als Rekolok war mir vor 1990 völlig unbekannt. Statt desen glaubte ich vor einer fast hundertjährigen Maschine zu stehen, obwohl es sich um eine Großteileerneuerte handelte und ich war mit diesem Irrtum sicherlich nicht der einzige. Von einer Modernisierung dieser IV K Loks kann keine Rede sein und die Bezeichnung als Rekolok ist hier nun wirklich völliger Quatsch. Sie sind eben auf Grundlage der ursprünglichen Konstruktion größtenteils (daher Großteile :D ) einfach neu gebaut wurden.

    Doch Halt! Irgentwie ist es doch auch wiederum sehr lustig, wie sehr uns die Eindeutschungen aus der russischen Sprache bis heute verfolgen und welche Missverständnisse und Diskussionen noch immer dadurch ausgelöst werden.

    Viele Grüße
    Joachim

    7 Mal editiert, zuletzt von John (17. August 2016 um 09:06)

  • Hallo Joachim,

    leider wird die Reko immer noch zwischen einen völligen Neubau verwechselt. Das heißt, alle IV K's sind Neubauten, auch die 99 539, Baujahr 1963 !
    Die 99 534 in Geyer als Beispiel, Neubau 1967, bis 1974 im Einsatz, fehlende HU und dann das aus. Diese Neubaulock war gerade mal 7 Jahre im Einsatz.

    Beste Grüße
    Tino-Toni Händel

    Einmal editiert, zuletzt von Aufsichtsbeamter (16. August 2016 um 22:56)

  • Hallo Tino,


    Zitat

    Das heißt, alle IV K's sind Neubauten


    Das stimmt wiederum auch nicht ganz. Einige wenige Altteile wurden wiederverwendet.

    Viele Grüße
    Joachim

    Einmal editiert, zuletzt von John (16. August 2016 um 23:02)

  • Ja O.K. Joachim,

    das trifft als Beispiel bei der 99 555 und der 99 568 zu, diese haben eine Teilreko (neuer Kessel), aber auch die Jöhstädter 99 590 ist ein Neubau von 1967.

    Beste Grüße
    Toni

    (Was wurde denn wieder verwendet? Das Fenster, die Pfeife, die Dampfglocke, die... => es waren doch nur Einzelteile, wenn wir ehrlich sind).

    Einmal editiert, zuletzt von Aufsichtsbeamter (16. August 2016 um 23:19)

  • Ich denke bei der IV K ist das ganze deutlich komplizierter als bei der VI K

    Wärend bei letzterer wirklich fast alles Neu war gab es bei der IV K Reko eben nicht nur reine Neubauten. Bei den ersten Loks wurden ja zum Teil der Rahmen wiederverwendet.
    Von daher ist die IV K näher am Begriff Reko gewesen als es die VI K je war.

    Man kann dort das Thema an sich wirklich nur für jede Lok einzeln betrachten.
    Das entscheidende Merkmal wäre für mich der Neubau des Rahmens als Identitätsträger.

    Gruß André

  • Hallo zusammen!

    IV K aus den 1960ern sind Rekoloks, keine Neubauten. Rahmen und Kessel sind damals neu entstanden, vielleicht auch der ein oder andere Triebwerksrahmen und Zylinder. Es sind aber viele Teile aus "Altbauloks" immer noch verbaut. Man muss da nur halt mal genauer hinschauen.

    John deine Frage zum Alter der Loks: Ausschlaggebend ist das Datum der Abnahme der Lok im Betriebsbuch. Und wenn dort 189x oder 190x/191x/1921 drin steht, dann hast du das Alter. Da kann man dann evtl mal bei Vereinen/Museumseisenbahnen nachfragen.

    Rekonstruktion heißt eigtl nichts anderes, als bestehende Substanz zu modernisieren (z.B. bessere Werkstoffe), die Leistung und Lebensdauer zu erhöhen.

    Neubauten sind dann dementsprechend, auf die sächs. Schmalspurbahn als Thema bezogen, in dem Sinne nur die 99.77-79 und die "Reko VI K" die eigtl eine Neubau VI K ist.

    Die IK z.B. ist zwar eine neugebaute Lok, aber dennoch quasi eine Reko IK. Es wurde eine Lok nach historischen Plänen gebaut, aber mit modernen, verbesserten Werkstoffen gebaut - eben rekonstruiert.

    So sollte es jedem verständlich sein.

    VG!

    Einmal editiert, zuletzt von Vogtländer (16. August 2016 um 23:24)

  • Also Vogtländer,

    wenn bei einer Dampflok der Rahmen, Achsen (Räder), Kessel, Zylinder, Führerhaus, Wasserkasten, und vieles mehr erneuert wird, ist das für mich ein Neubau.

    Beste Grüße
    Toni

    (Und es gab mal einen Bericht, folgend der Beobachtung von Günther Meyer in Görlitz,
    wo an der alten originalen IV K (die zur Verschrottung) die Nummernschilder abgeschraubt wurden und neben der neuen gebauten IV K angebracht wurden. Es war die 99 582).
    Also gab es die 99 582 kurzzeitig mal 2 mal, denn diese standen nebeneinander. Sicherlich gibt es davon Bilder.
    Da stand links die originale 99 582, rechts daneben die nachgebaute (Neubau) IV K, nur die Lokschilder wurden gewechselt.

    5 Mal editiert, zuletzt von Aufsichtsbeamter (17. August 2016 um 00:09)

  • Hallo,

    also nochmal zur Großteileerneuerten IV K. Hier wurde weder eine modernere Konstruktion umgesetzt, noch wurden die wirtschaftliche Merkmale und die Leistungsfähigkeit nennenswert verbessert. Die Bedeutung von "rekonstrukcija" setzt aber genau das voraus und schließt dabei einen Neubau nicht aus. Keine IV K wird der Bedeutung des Wortes Rekonstruktion (weder der eigentlichen noch der russischen) gerecht.


    @ Vogtländer, verwechsele doch bitte nicht die Bedeutung von Rekonstruktion in unserer deutschen Sprache mit der Bedeutung des als Rekonstruktion eingedeutschten "rekonstrukcija". Schau einfach mal in ein Wörterbuch.
    Außerdem bedeutet mein Irrtum vor fast 30 Jahren bei der IV K nicht, dass ich auch heute noch so ahnungslos unterwegs bin.

    Viele Grüße
    Joachim

  • Sehr richtig Joachim,

    warum wollen es einige nicht wahrhaben, das die heutige IV K (bis auf Ausnahmen) und die damalige VI K , bezeichnet als Reko, Neubauloks waren und sind.

    Und wenn man es richtig sieht, wurden nicht nur 96 IV K's gebaut. Zählt einfach mal den Nachbau/Neubau aus den 1960er Jahre !

    Beste Grüße
    Tino-Toni Händel

    4 Mal editiert, zuletzt von Aufsichtsbeamter (17. August 2016 um 02:24)

  • Zitat

    Original von Aufsichtsbeamter
    Ja O.K. Joachim,

    das trifft als Beispiel bei der 99 555 und der 99 568 zu, diese haben eine Teilreko (neuer Kessel), aber auch die Jöhstädter 99 590 ist ein Neubau von 1967.

    Beste Grüße
    Toni

    (Was wurde denn wieder verwendet? Das Fenster, die Pfeife, die Dampfglocke, die... => es waren doch nur Einzelteile, wenn wir ehrlich sind).

    Hallo,

    also 99 568 ist nach euer Definition auch eine Neubaulok, denn alle dafür ausschlaggebenden Teile wurden im seligen RAW Schlauroth neu gebaut (Kessel, Brückenrahmen, Drehgestelle, Zylinder, Aufbauten). Altteile waren einige Kesselarmaturen, Kleinteile der äußeren Steuerung, Stangen, Läutewerk und Dampfpfeife. So wie bei allen "Neubau-"IVK der DR.
    Nur 99 555 war die letzte erhaltene Teilreko-Lok. Leider ist sie es jetzt nicht mehr, da ihr Neubaukessel technisch und optisch verändert wurde (Lage des Dampfdomes).
    Nur 99 535, 99 604 und 99 579 sind klassische Altbauloks. Wobei dort teilweise auch Umbauten durchgeführt wurden sind (Ackermannventile).

    MfG

    Einmal editiert, zuletzt von Anne Lindberg (17. August 2016 um 13:12)