199er mit Güterzug

  • [SIZE=3]DDR-Dampf im Harz: Eine Reise in die Vergangenheit[/SIZE]

    Für manche besteht eine Sonderfahrt lediglich daraus, dass ein Zug von A nach B fährt, bespannt mit einer historischen Lokomotive, Wagen, die irgendwie dazu passen und das war es. Nicht so die Veranstaltung, die ich im Februar 2011 im Harz durchgeführt habe.

    Die Vorbereitungen für eine solche Reise laufen viele Monate im Voraus, in unserem Falle sogar ein Jahr. Der Wunschzettel ist lang, aber man muss erst einmal herausfinden, was überhaupt noch zu realisieren ist und dann, was davon noch bezahlbar bleibt. Das Umlackieren von Personenwagen sollte laut HSB-Angebot pro Wagen rund 20.000 Euro kosten, fiel also aus. Die Anfrage, eine Lok in mattschwarz zu lackieren erübrigte sich damit von selbst. Die Aufarbeitung eines zweiachsigen, offenen Güterwagens und eines weiteren G-Wagens sollte jeweils um die 100.000 Euro kosten. Da wir nicht mit einem Hollywood-Budget ausgestattet sind, schied auch dieses Ansinnen von vornherein aus. Für den Schmalspurgüterzug auf der Selketalbahn hatte ich auch jede Menge Ideen, den Zug authentisch aussehen zu lassen. Dafür musste allerdings die mittlerweile fast schwarzen Baumstämme von den Drehschemelwagen geladen werden. Kran, Zwischenlagerung und wieder aufladen, Herstellung der authentischen Zuladung und Beschaffung der Plane und Holzkisten zusammen kosteten 1.300 Euro. Das war gerade noch vertretbar, und so wurde mit viel Liebe und Mühe durch die Harzbahner ein Schmalspur-Güterzug zusammen gestellt, wie er auch hätte 1980 verkehren können. Auf den Rungenwagen wurden Holzschwellen verladen, so dass auch dieser nicht leer aussah. Die notwendigen Fristarbeiten an den zweiachsigen Wagen wurden von der HSB und der IG ausgeführt, teilweise erst wenige Tage vor unserer Fahrt.

    Der Güterzug mit aufgebockten Regelspurwagen bedurfte auch einiger Arbeit. Es gibt im Netz der HSB keine Stelle mehr, wo man Normalspurwagen auf Rollwagen verladen könnte. Heutzutage verwendet man wenn überhaupt nur noch Rollböcke. Die zweiachsigen Es-Wagen konnte ich bei der Deutschen Bahn anmieten. Weil ich aber befürchten musste, dass nicht alle Wagen graffitifrei sein würde, bestellt ich mehr, als eigentlich benötigt. Und tatsächlich, zwei Wagen waren verschmiert und eigneten sich nicht. für unsere Zwecke. Um die anderen nun zu verladen, wurde bereits eine Woche vor der Reise ein Gleis der Anschlussbahn der Nordhäuser Stadtwerke gesperrt und teilweise mit Erde aufgefüllt. Denn für die Verladung brauchten wir einen großen Autodrehkran, und dieser musste irgendwo im Gleichbereich aufgestellt werden. Nach der Zuführung der Güterwagen durch die DB übernahm die Diesellok der Stadtwerke Nordhausen diese Wagen und brachte sie in das Anschlussgleis neben dem Schmalspurgleis. In rund fünf Stunden wurde dann Wagen für Wagen verladen und auf den Rollwagen gesichert. Im Gegensatz zur Reise im April 2009 hatten wir diesmal sieben Rollwagen zur Verfügung, einer der bei der HSB kaum noch benötigten Rollwagen wurde extra für diese Fahrt wieder mit Freisten versehen.

    Für die Verladung auf der Schmalspurseite kam eine 199 zum Einsatz, die den Zug dann im Bahnhof Nordhausen zusammen rangierte und ihn auf Gleis zehn abstellte. Bereits eine Woche im Voraus verkehrten auf dem Netz der HSB einige Sonderzüge, um alle Wagen entsprechend unseren Einsatzwünschen bereit zu haben.

    Die Normalspurwagen wurden dann von DB-Aufklebern befreit und an den entsprechenden Stellen mittels rostbrauner Farbe, Abtönpaste und Malerrollen behandelt. An einigen Stellen sahen sie danach besser aus, als wir sie in Empfang genommen hatten. Natürlich mussten die Aufkleber hinterher wieder angebracht werden. Die DB-Kekse und Warnhinweisaufkleber hatte ich zuvor für 85 Euro bei der Firma Trispel besorgt, die erfreulicherweise auch kleinste Bestellmengen (für eben sieben Wagen) ausliefert.

    An den Lokomotiven waren ebenfalls Änderungen notwendig. So wurden nicht nur die Harzer Schmalspurbahnen-Schilder gegen Deutsche Reichsbahn Schilder ersetzt, sondern auch alle Untersuchungsdaten an den Pufferbohlen vorn und hinten durch die Anschrift RAW DSF Gö – Reichsbahnausbesserungswerk „Deutsch-Sowjetische Freundschaft“ Görlitz – ersetzt. Der Aufwand war höher an 99 0232, die wir auf Ölfeuerung „umbauen“ ließen. Dazu mussten die Lokschilder neu angefertigt und der Ölbunker nachempfunden werden. Früh morgens vor 5 Uhr wurde die Lok mit einem zusätzlichen großen Haufen Kohle im Führerstand bekohlt. Die Lok fuhr zur Werkstatt Wernigerode-Westerntor. Dann schlossen sich die Blecke über der Kohle und der typische Runddeckel wurde aufgebracht. Um 5.30 Uhr verließ die Lok die Werkstatt wieder und dampfte zum Bahnhof zurück, wobei man mich freundlicherweise mitnahm und mir den Fußmarsch zurück zum Hotel ersparte. Neben dem „Ölbunker“ hatte man auch den Entlüftungsstutzen wieder so angebracht, wie er für die Ölloks typisch war. Der Eindruck einer Öllok war nahezu perfekt! 400 Euro waren somit verbaut.

    Noch mehr Arbeit brauchte aber 99 5901, das Touristen-Schmuckstück der Bahn. An ihr darf man ohne Zustimmung des Stammpersonals gar nichts ändern. Aber es ging dann doch, zum ersten Mal durften wir die „Pufferbohle“ der Maschine verdrecken, also mit Öl und Kohlestaub behandeln. Letztendlich sah sie schmutziger als 99 5906 aus. Das dürfte das letzte Mal vor 25 Jahren vorgekommen sein ...

    Die Umbauten an dieser Maschine waren:

    - Rauchkammerzentralverschluss-Atrappe entfernen
    - Schilderhalter entfernen
    - Neuen Schilderhalter mittig an der Rauchkammer anbringen
    - Vier Lokschilder, zwei Eigentumsschilder wechseln
    - Anschriften auf RAW DSF Görlitz mit entsprechenden Untersuchungsdaten ändern
    - Messinghandräder durch schwarze ersetzen
    - Messing-Wasserstandsprüfhähne am lokführerseitigen Wasserkasten schwarz umwickeln
    - Lampengehäuse der Triebwerksbeleuchtung entfernen

    Trotzdem blieb die Lok ein Kompromiss, allein die glänzende Farbe und die fehlende Saugzugeinrichtung machten deutlich, dass wir uns im Jahre 2011 befinden. Aber in diesem Zustand ist die Maschine lange nicht gefahren und wird es auch wahrscheinlich lange nicht mehr.

    Neben den Zügen müsste auch für das „Drumherum“ gesorgt werden. Grenzsoldaten mit Kalaschnikow, LO3000-Lkw der Grenztruppen, ein Wartburg, ein Lada, zwei Trabant in unterschiedlicher Ausführung, Volkspolizisten, DDR-Bürger, eine DDR-Fahne usw.

    Neben etlichen Telefonaten und zwei Vorbereitungsreisen in den Harz habe ich weit über 1.000 Emails geschrieben. Im Posteingang zu dieser einen, einwöchigen Reise befinden sich 1117 Emails. Meine Fahrplanwünsche passen in eine überdimensionale Excel-Tabelle, die Fahrplanunterlagen der HSB beanspruchten insgesamt 18 Seiten. Trotz genauester Planung mit knappen Zeiten für Kreuzungen und Überholungen ermöglichten die Eisenbahner weitere zusätzliche Fotohalte, wo immer möglich. Wir hatten zwischenzeitlich auch ein mal wenige Minuten Verspätung, aber nur aufgrund weiterer Sonderwünsche, die uns fast alle erfüllt wurden. Die Betriebsführung der HSB wurde teilweise mit Sonderregelungen so beeinflusst, dass wir unsere Aufnahmen machen, mit einem Triebwagen auf Sicht dem Rollwagenzug folgen und Doppelausfahrten arrangieren konnten. Die planmäßigen Personenzüge hatten dadurch manchmal auch ein paar Minuten Verspätung, die sie aber bis zum Zielpunkt wieder aufholen konnten.

    Ein ganz großer Dank gilt allen Eisenbahnern der HSB, die uns das ermöglichten, insbesondere allen Lokpersonalen, unserem unermüdlich kuppelnden und schlüsselnden Rangierleiter Herrn Apelt, dem Betriebsleiter Herrn Bauer, der für Sonderzugleistungen verantwortlichen Frau Stüber und Herrn Krause von der Werkstatt.

    Und wenn dann alle Teilnehmer bereits beim Abendessen im Hotel saßen, wurde im Bahnhof noch fleißig rangiert, um unseren Zug am nächsten Tag fertig zu haben, bekohlt, ausgeschlackt, ein Ruhefeuer angelegt, Aschkasten und Rauchkammer gesäubert, Wasser genommen, abgeölt, untersucht und die Lok an den Nachtheizer übergeben. All das wird oft leicht vergessen. 7.46 Uhr steht eben der Zug am Bahnhof abfahrbereit ...

    Drei Tage nach unserem Besuch waren die Normalspurwagen wieder bei der DB, die Loks wieder in ihren angestammten Umläufen, die Personen- und Güterwagen wieder an ihrem Ort und die HSB-Mitarbeiter hoffentlich wieder ausgeschlafen. Danke!

    Derweil tummeln sich in verschiedenen Foren Eisenbahnfreunde, die etwas von einem imaginären Faustkampf fabulieren (dabei hat mich der entsprechende Herr nur zweimal in den Straßengraben abgedrängt), vom geradezu einklagbarem Recht ohne Kostenbeteiligung, ohne Anmeldung und ohne irgendwelche Skrupel den Zug zu verfolgen und so viel Bilder wie möglich zu machen. Sie reden von nicht authentischen Zügen und dass Erstklässler wohl die Beschriftung „Holzwerke Rinkemühle“ aufgebracht hätten. Das mag sein – aber das war in den 1970ern, als jemand bei den Holzwerken Rinkemühle ebendiese Aufschrift, die jetzt mit Beamer, Edding und vielen Stunden Arbeit auf die Plane gebracht wurden, schrieb. Nur, Kinderarbeit gab es m.W. in der DDR nicht. Wenn jemand der Autoren dieser Beiträge etwas Besseres auf die Beine zu stellen vermag, würde ich gerne zum Zuschauen kommen (nein, Fotos brauche ich davon nicht wirklich) und dann alle meine gutgemeinten Ratschläge ablassen und die Details benennen, die das Jahr der Aufnahme verraten. Wer mit einem Millionenbudget anrücken kann, hat es einfacher, ich muss jedoch alles aus den Geldern der Teilnehmer bezahlen.

    Ein Bild hatte jeder nicht angemeldete Angereiste frei. Er wurde von mir beim ersten Mal höflich darauf hingewiesen, dass er die Stimmung unter den zahlenden Teilnehmern stark drückt, wenn er den Zug verfolgen würde, um weitere Aufnahmen zu machen. Urlauber und Wanderer sind überhaupt kein Problem, es geht nur um die Trittbrettfahrer, die den Teilnehmern und Financiers der Reise verächtlich zeigen, dass es auch ohne finanzielle oder sonstige Beteiligung geht. Dabei geht es nicht mal so sehr um den Betrag, den sie zu leisten bereit gewesen wären, es geht um die Geste. Ein Schüler in Silberhütte hat sich mit 5 Euro beteiligt, was seiner Finanzlage entsprach. Das war völlig ok. Aber die Leute, die meinten, sie hätten eine Fahrkarte der HSB gekauft und dürften den Zug damit verfolgen und dann noch bei der Doppelausfahrt aus Eisfelder Talmühle den teilnehmenden Videografen den Ton mit lauten Rufen verschandeln, für diese Leute habe ich nur eine milde Verachtung übrig. Milde deshalb, weil es ganz offensichtlich weder zu genug Toleranz noch zu einer guten Erziehung gereicht hat. Traurig, aber es gibt unter den Eisenbahnfreunden eben auch solche Zeitgenossen.

    Nun gut, bei Manchem wird es für eine Beteiligung nicht mehr gereicht haben, wer mit einem Volvo aus Bamberg und einer teuren Fotoausrüstung anreist, hat wenig übrig, sich an solchen Veranstaltungen zu beteiligen oder wenigstens den Veranstalter zu kontaktieren. Ich habe volles Verständnis und tiefes Mitleid ... Da ich aber nicht Mutter Theresa bin, werde ich mir ernsthaft überlegen, ob ich in Deutschland noch jemals etwas in dieser Art anbieten werde. Es gibt offensichtlich sehr viele, die es besser können und dann keine Probleme damit haben, wenn 20 Leute zahlen und 25 nebenher fahren und ihren Spaß am Katz- und Maus-Spiel haben. Ich habe an mehreren Tage auf dieser Reise zwischen 16 und 18 Stunden gearbeitet und versucht, es allen Recht zu machen, um einen Mittelweg zwischen bahntechnischen Möglichkeiten, finanziell Tragbarem und fotografisch wie videografisch Erfolgreichem zu finden. Ich habe nicht versucht, es den nicht angemeldeten Autofahrern Recht zu machen. Ich erwarte dafür kein Verständnis. Meine Teilnehmer verstehen das sehr wohl, und diesen sei an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich dafür gedankt, dass sie sich überwiegend so tolerant gegenüber Mitmenschen verhalten haben, die vergessen haben, dass ein Hobby Spaß machen soll. Aber nicht Spaß auf Kosten anderer.