Crottendorfer Erinnerungen im Advent...(mvB)

  • Glück Auf!

    Wenn im Erzgebirge die ersten Lichterbögen in den Fenstern die Nacht erhellen, der Hartensteiner Adventsstern in den Stuben mit seinem warmen Licht für eine unvergleichliche Stimmung sorgt, dann ist sie wieder da, die Adventszeit.


    Wird dann noch der Räuchermann vom Boden geholt und ein wohlriechendes Kerzl´ aus einem weltberühmten Erzgebirgsdörfchen angebrannt, dann sind wir auch schon beim Thema: Crottendorf.
    Kaum ein Ort im Erzgebirge ist eisenbahntechnisch so bekannt (gewesen), wie jenes Dorf, in dem bis Mai 1988 noch planmäßig regelspurige Dampfzüge fuhren. Mir war es als Kind von vielleicht 4 Jahren nur einmal ganz kurz vergönnt, die 86er in Crottendorf "live" (aus dem Auto heraus) zu sehen. Fotografiert wurde damals leider nicht. So kenne ich die WC-Linie (Walthersdorf (Erzgeb) - Crottendorf ob Bf) nur noch in Fragmenten - als zerstückelten Schienenstrang... . Gestern übrigens wäre sie 125 Jahre alt geworden.
    Meine ersten selbstgemachten Fotos entstanden dort 2003, als der letzte Zug längst abgefahren war. Dennoch gab es damals - im Gegensatz zu heute - wenigstens noch Gleise zu sehen. Auch der Abzweigbahnhof Walthersdorf (Erzgeb) besaß noch seinen Gleisplan aus den letzten Betriebsjahren der WC-Linie.
    Dort beginnt auch unser wehmütiger Rückblick. Wie von mir gewohnt, wird auch auf die Sicherungsanlagen der Strecke eingegangen ;)
    Die teilweise schlechte Qualität der Fotos bitte ich zu entschuldigen. Lichtverhältnisse, meine damaligen Kameras und fotografisches "Können" waren nicht die Besten...:


    Bf Walthersdorf (Erzgeb) am 9. März 2003. Im Vordergrund die Abzweigweiche nach Crottendorf und dahinter die Bahnsteigschranke.


    Die Schlüssel der ortsbedienten Weichen des Bf Walthersdorf wurden an einer Angermannschen Schlüsseltafel prüfbar aufbewahrt. Selbige hängt heute im Museum Rittersgrün.


    Die vier Hebel (Bauform Jüdel) der drei Einfahrsignale A, C, und G waren jeweils mit Signalhebelschlössern sächsischer Bauart verschlossen. "Vier Hebel für drei Signale?" könnte man jetzt fragen. Das hat seine Richtigkeit, denn Einfahrsignal C aus Richtung Schlettau konnte Hf 1 (Hp 1) für Züge in Richtung Buchholz und Hf 2 (Hp 2) für Züge nach Crottendorf zeigen. Daher waren zwei Hebel notwendig.


    Am 12. November 2005 gab es in Walthersdorf nur noch das durchgehende Hauptgleis der Strecke nach Buchholz, die WC-Linie war abgetrennt und nur noch ein Torso. Blick in Richtung Buchholz und Crottendorf.



    Hp Walthersdorf (Erzgeb) am 9.9.2006. Typisch für die Strecke ist deren Verlauf teils unmittelbar an den Fassaden der Häuser vorbei. Stellenweise war sogar das Lichtraumprofil eingeschränkt, welche jedoch per Ausnahmegenehmigungen des Präsidenten der Rbd Dresden zulässig waren:


    In den letzten Betriebsjahren hatte man an den zwei Wegübergängen mit der Staatsstraße in Walthersdorf und Crottendorf behelfsmäßige Wegübergangssicherungsanlagen in Form von Lichtzeichenanlagen mit Farbfolge gelb-rot errichtet. Diesen mussten vom Zugführer manuell Ein- und wieder Ausgeschaltet werden. Daher steht hinter dem Hp Walthersdorf dieses Geschwindigkeitstafel Lf 4 mit der Zahl 0, welche am WÜ km 1,520 WC einen Halt an der Eckentafel (Lf 5) zum Einschalten der Lichtzeichenanlage vorschreibt (Foto vom 19.11.2003).


    Streckenführung in Walthersdorf.


    Zschopaubrücke am km 1,546 WC, 9.9.2006.


    Zwischen Hp Walthersdorf und Crottendorf unt Bf verlief die Bahn kurzzeitig etwas abseits der Bebauung und der Staatstraße. Foto vom 19.11.2003.


    Etwa am km 2,9 WC erreichte die Strecke wieder die Straße und führte mit dieser ein Stück weit parallel. Das Foto entstand in Höhe km 3,0 WC, Blick in Richtung Walthersdorf, am 9.9.2006.


    Güterschuppen Crottendorf unt Bf, 9.9.2006.


    Sächsischer Hektometerstein 41 hinter Crottendorf unt Bf, 19.11.2003.


    Strecke in Höhe km 4,3 WC an der "Großen Kirchgasse" (19.11.2003).


    Strecke unweit des Wegüberganges am km 4,5 WC "Schillerstraße", Blick in Richtung Crottendorf ob Bf. Am sichtbaren Wohnhaus am km 4,55 WC war das Lichtraumprofil eingschränkt:


    Die selbe Stelle aus der Gegenrichtung gesehen, 9.9.2006.


    Auch beim links und hinten stehenden Haus am km 4,63 und 4,67 WC kratzten die Mauern am Lichtraumprofil:


    Gleiche Stelle, Blick in Richtung Walthersdorf, 9.9.2006.


    Die zweite Zschopaubrücke am Crottendorfer Rathaus. Blick in Richtung Walthersdorf am 12.11.2005.


    Strecke am Rathaus, Blick Walthersdorf, 9.9.2006.


    Pfeiftafel Pf 2 unweit Crottendorf ob Bf, Blick Walthersdorf, 12.11.2005.


    Streckengleis unmittelbar an der Bahnhofseinfahrt Crottendorf ob Bf, Blick Walthersdorf, 9.9.2006.



    Beide Fotos vom 9.9.2006.


    Sächsisches Weichensicherheitsschloss Bauform "Adler & Hentzen" in Crottendorf ob Bf, 9.9.2006.
    Crottendorf besaß kein Einfahrsignal und somit auch kein Stellwerk. Selbst eine Trapeztafel errichtete man erst in den 1970er Jahren. Die Weichenschlüssel wurden vermutlich an einem einfachen Schlüsselbrett aufbewahrt.


    Crottendorf ob Bf, 9.9.2006.

    Zum Abschluß sei auch noch der Bahnhof Schlettau (Erzgeb) erwähnt, welcher verkehrlicher Ausgangspunkt der Strecke nach Crottendorf war. Am 15. Mai 2005 entstanden dort meine ersten Bilder. Damals präsentierte sich das Empfangsgebäude noch im alten Anstrich und die Hebelbank im dortigen mechanischen Einheitsstellwerk war noch "komplett", also im Zustand von 1996/97. Nach der Aufstellung der 4 Ausfahrsignale und Gleisplanänderungen durch die Erzgebirgsbahn hatte man die Hebelbank später um diverse Hebel erleichtert.



    Im Rahmen meiner Lehre zum Fahrdienstleiter bei der DB Erzgebirgsbahn hatte ich zweimal die Gelegenheit, Dienst im altehrwürdigen Bahnhof Schlettau (Erzgeb) leisten zu dürfen - dort wo einst die Züge nach Crottendorf abfuhren...



    Eine besinnliche Adventszeit!

  • Hallo Mike,

    vor der Lektüre deines Berichts habe ich erstmal mein Räuchermännchen mit einer Räucherkerze "Aroma Dampflokduft" aus dem Erzgebirge bestückt ... und mich dann beim Lesen über die Erinnerung gefreut.

    Danke für den interessanten Bilderbogen :spos:


    Beste Grüße aus dem Bergischen Land

    Thomas

  • Hallo Mike,

    schön - wehmütige Erinnerungen an DIE erzgebirgische Bimmelbahn in Normalspur sind das! Danke für´s zeigen!

    Glücklicherweise gibt es ja einige Filmaufnahmen und unendlich viele Fotos von dieser Strecke, so dass die Trauer über den Verlust dieser einzigartigen Bahn nicht zu schwer wiegt.

    Wer mehr über Walthersdorf - Crottendorf erfahren möchte, dem lege ich die Lektüre des Buches "Original Crottendorfer Eisenbahngeschichten" von Siegfried Bergelt ans Herz. Ein mit viel Herzblut geschriebenes Werk, besonders in der Vorweihnachtszeit schön zu lesen.

    Gruß Tobias

  • Hallo Mike,

    sehr interessante und zugleich traurige Bilder der idyllischen Normalspur-Nebenbahn im Erzgebirge. Man kann sich so richtig den Einsatz der Baureihe 86 dort wieder vorstellen.

    VG Rainer

  • Moin Mike,

    oha, das sind schon harte Aufnahmen. Wie schnell sich so eine Strecke wieder naturalisiert ist schon erstaunlich... Erstaunlich auch, daß auf der Crottendorfer Strecke immer noch Abschnitte mit Schienen existieren. Daß die noch nicht dem Rohstoffkreislauf zugeführt wurden...
    Ich kenne den Dampfeinsatz aus den 1980ern nicht persönlich. 1993 war ich mit meiner Familie im Sommerurlaub in Carlsfeld, dort konnte ich nebenbei einige Fotos in der Gegend machen. Und einen Tag bekam ich von meiner Frau komplett frei :)

    Am 07.07.93 konnte ich mit Familie einen kurzen Halt in Waltersdorf einlegen, um die 201 828 abzulichten.

    Am besagten "Freitag" habe ich haufenweise Kilometer verfahren, um so viel wie möglich verschiedene Themen abzuklappern. Seit einem Jahr konnte ich Auto fahren und der Fahrtrieb war noch sehr groß... ;)
    Unter Anderem kam ich auch nach Schlettau, dort war Mittagstreffen angesagt. Und eine schneidige Ausfahrt gab es auch noch.

    Die restlichen Bilder dieses Tages können bei Bedarf im dritten Teil der Trilogie (ist vor langer Zeit schon im HiFo bei DSO erschienen) angesehen werden. Da ist auch Schmalspur dabei...

    http://www.drehscheibe-foren.de/foren/read.php?17,2933381

    Grüße aus Berlin

    Carsten

    Einmal editiert, zuletzt von Dieselkutscher (3. Dezember 2014 um 23:13)

  • Hallo Carsten,

    dass auf der WC - Linie (hat nix mit Klo zu tun :D) immer noch Abschnitte mit Schienen existieren, wäre mir neu. Bisher bin ich davon ausgegangen, dass die Strecke zu großen Teilen zu einem Radwanderweg umgebaut wurde.

    Gruß Tobias

  • Zitat

    Original von Dieselkutscher
    Erstaunlich auch, daß auf der Crottendorfer Strecke immer noch Abschnitte mit Schienen existieren. Daß die noch nicht dem Rohstoffkreislauf zugeführt wurden...

    Hallo Carsten,
    nein, mittlerweile ist die Strecke komplett abgebaut. Die Bilder von Mike sind ja auch schon wieder ein paar Tage alt. Ein Schienenrest ist noch im BÜ kurz hinter Walthersdorf Hp (wo das Schild "0 km/h" stand) und auf dem oberen Bahnhof stapeln sich noch ein paar Gleisstücke.

    Siehe auch hier: 125 Jahre BSg- und WC-Linie

    MfG
    MBC

  • Hallo ihr beiden,

    ich bin einfach davon ausgegangen, daß heute noch mehr Botanik auf dem Planum steht und deshalb nichts mehr zu sehen ist. Klar, wenn ein Radweg da ist sind die Schienen weg... ;)
    Danke für den Link.

    Vielleicht schaffe ich es doch mal wieder in die Gegend. :) Mit dem Rad hinten am Auto....

    Gruß

    Carsten

  • Hallo Mike, liebe Forianer!

    Deine liebevoll beschriebenen Erinnerungen an die Schlettau-Crottendorfer Strecke haben mich bewogen, mal in den alten, inzwischen digitalisierten Dias zu kramen. In den 80er Jahren habe ich mehrmals Motorradtouren ins Erzgebirge unternommen und dabei ein paar Fotos gemacht. Damals stand absolut das Motorrad (MZ TS 150) im Vordergrund und gegenüber meinen mitreisenden Freunden mußte ich mich immer rechtfertigen, warum wir schon wieder anhalten mußten. Aus heutiger Sicht hätte ich sicher ganze Tage an der Strecke verbringen sollen.
    Leider habe ich mir auch keine Aufzeichnungen gemacht, wann genau und wo die Fotos entstanden sind. Bei dem Bild auf dem Viadukt glaube ich sogar, daß es eher in der Nähe von Annaberg entstand. Die Experten im Forum wissen das sicher sofort.
    An den Crottendorfer Bahnhof kann ich mich allerdings noch sehr gut erinnern. Es war faszinierend, wie schnell der PmG aufgelöst, die einzelnen Wagen den Abnehmern zugestelt und der neue Zug zusammengestellt wurde. Das alles mit viel Gepfeife und mir damals unverständlichen Rangiersignalen.
    Viel Spaß beim Anschauen wünscht Ralf