Abrechnung mit Mehdorn und Konsorten

  • Hallo allerseits,

    wie etwas weiter vorne schon geschrieben, lag das Buch unterm Weihnachtsbaum. Und ein Glück, dass ich es erst nach dem Fest gelesen habe – es ist ein wirklich faszinierender Wirtschaftskrimi von allerhöchster Brisanz. Wenn man erst einmal angefangen hat zu lesen, legt man es so schnell nicht mehr weg, da der Autor Luik eine sehr gute „Schreibe“ hat.

    Leider bestätigt jede Seite, jede Zeile, dass das allgegenwärtige Desaster der Deutschen Bahn AG kein Versehen, kein Zufall ist. Die DB AG ist ein Staatskonzern, der völlig außer jegliche Kontrolle geraten ist. 10 Milliarden (und mehr) jährlich pumpt nicht „der Bund“, sondern der Steuerzahler in diese DB AG. Die Täter werden klar verortet, sie sitzen in Berlin, in der Regierung, im Parlament, in den Lobbyverbänden und deren Lobbyismus, regelmäßig an Mafia und mafiöse Strukturen erinnernd.

    Es geht Autor Luik bei weitem nicht nur um eine sehr gut begründete Kritik an den überbordenden Anglizismen oder den manchmal auch lustigen Englischfehlern, es geht auch um ausfallende bzw. verspätete Züge und „natürlich“ um dreckige Wagen, falsche Wagenreihungen, ausfallende Klimaanlagen. Auch die desaströse Infrastruktur gerade im Reiseverkehr wird fundiert angesprochen. Erschreckend für viele Bahnkunden dürfte der Nachweis sein, dass die Bahn sogar manchmal ein Risiko für unser Leben darstellt.

    Auf Steuerzahlerkosten werden „Bahnhöfe stillgelegt, und von den wenigen Bahnhöfen, die es noch gibt, sind mehr als 95 % ohne Personal“. (S. 255)

    Erwartungsgemäß wird auch das Projekt Stuttgart 21 tiefgründig analysiert und diskutiert. Und es löst mehr als nur Kopfschütteln aus, dass beispielsweise im irgendwann einmal fertigen Neubau des Bahnhofs Stuttgart in diesem Bremsproben verboten sein werden.

    Die Hauptkritikpunkte an der DB AG werden vor allem aus der Sicht des Reisenden gesehen, so dass z.B. der Irrsinn von Mora C oder der Wahnwitz der Zusammenstreichung von Zugangspunkten im/zum Güterverkehr, der allgegenwärtige, seit Jahrzehnten auf Steuerzahlerkosten betriebene Rückbau von Güterverkehrsanlagen (von der Ladestraße oder Güterboden über Rangier- und Zugbildungsanlagen bis hin zum Empfänger) nahezu völlig ausgeklammert werden. Natürlich musste sich der Autor irgendwo beschränken, aber über ca. 170 Jahre Eisenbahn in Deutschland haben nun einmal aufgezeigt, dass der Güterverkehr die Haupteinnahmequelle für die Bahngesellschaften war, während der Reiseverkehr im wesentlichen Daseinsfürsorge darstellte.

    Auch auf die Situation bei den Mitarbeitern wird eingegangen, dabei auch an die „Personalie Norbert Hansen“ (vom Paulus zum Saulus) wird erinnert. Wie kaputt ist ein Unternehmen, wie weit ist die „innere Kündigung“ der Mitarbeiter fortgeschritten, wenn so etwas verkündet wird: „Wir wissen leider nicht, wann es hier weitergeht. Wir warten gerade auf unseren Lokführer, der noch in einem anderen verspäteten Zug sitzt.“ (Zitat aus dem Buch)

    Zusammenfassend darf ich feststellen, dass Inhalt, Recherche, Sprache und Dramaturgie das Buch zu einem wahren Wirtschaftskrimi machen. Sehr empfehlenswert dieses Buch über „das geplante Desaster der Deutschen Bahn“! Und danke @Dietmar für Deinen Hinweis!

    Viele liebe Grüße von der Ostseeküste
    und von Peter

  • Guten Morgen,

    wenn ich da noch ein Erlebnis der besonderen Art anfügen darf: im letzten Jahr gab es während der Fahrt die Durchsage in einem ICE, ob sich evtl. ein Lokführer an Bord befinde......da wird einem kurz anders. Es stellte sich dann aber heraus, dass der hintere Zugteil im kommendne Bahnhof abgekuppelt und weißgottwohin verbracht werden sollte.

    Viele Grüße,

    Lenni

  • Hallo zusammen,

    dieses Buch war mit "noch keine Ruhe im Feuer" von Helmut Neumann (auch hier eine ganz klare Empfehlung!) eins der wenigen, die ich innerhalb kurzer Zeit und mit nie nachlassendem Interesse durchgelesen habe.

    Die Erkenntnisse sind frustrierend, aber man freut sich danach umso mehr, wenn man bei anderen Bahnunternehmen sieht, dass es (im Kleinen) gut läuft.

    Ich könnte jetzt noch einige weitere Geschichten von Bekannten über die große rote Eisenbahn erzählen, aber dann werde ich nie fertig.

    Mein Fazit aus der Lektüre dieses Buchs und anderen Quellen: Die DB hat ihre eigentliche Bestimmung völlig aus den Augen verloren, man hat in der Führungsebene weder Interesse an, noch Ahnung von Eisenbahn, die rechte Hand weiß nicht, was die linke tut und die dauerhaft defekten Fahrstühle werden nicht mehr gebraucht:

    Die Mitarbeiter seilen sich einer nach dem anderen ab, die Fahrgäste gehen die Wände hoch und der Vorstand schwebt über allem.

    Meine Meinung: Da sitzen zu viele BWLer, wo eigentlich Eisenbahner hingehören.

    Grüße

    Michel