Hallo liebe Freunde des Rasenden Roland,
nach längerer Zeit möchte ich Euch mal wieder etwas aus der Vergangenheit unserer Bahn zusammenstellen. Begeben wir uns in eine Zeit des Umbruchs. Bekanntes wurde in Frage gestellt, die Zukunft war noch völlig ungewiss.
Ich versuche, Euch mal meine Sicht zu schildern. Welche Erinnerungen habt Ihr? Wer war in diesem spannenden Jahr 1990 auf Rügen? Wer kann uns seine Erlebnisse schildern? Bitte zögert nicht, diesen Bericht zu ergänzen!
Die Situation 1990
Große politische Umwälzungen gingen auch nicht ganz spurlos an unserer Kleinbahn vorbei, wenn auch hier erstmal gar nicht viel zu bemerken war. Aber das Jahr 1990 stellte auch auf den Schmalspurgleisen zwischen Putbus und Göhren eine Zäsur dar.
Dampfachim kam zur Kleinbahn …
Im Oktober 1989 wurde nicht nur auf Straßen und Plätzen der DDR Geschichte geschrieben, wir feierten am Wochenende 14./15. Oktober auch 90 Jahre Rasender Roland mit Sonderfahrten und einer Fahrzeugausstellung. Die politischen Ereignisse überschlugen sich gerade und ich hatte schon Befürchtungen, die Veranstaltung würde abgesagt werden. Aber nein, sie fand statt.
Während dann ab November auch die Bürger der Nordbezirke ihre neue Reisefreiheit genossen, war hier sowieso keine Urlaubszeit. Planmäßig wurde im Winter seit Jahrzehnten nur eine Dampflok benötigt, die vom Lokbahnhof Göhren aus auf der Bäderstrecke pendelte. Nur gut, dass die unverwüstliche 99 4632-8, eigentlich offiziell seit 1984 gar nicht mehr für den Plandienst vorgesehen, putzmunter und voll betriebsfähig zur Verfügung stand, denn der restliche Lokbestand stand nicht bereit. Schwesterlok 99 4633-6 war seit Januar 1989 z-gestellt und man suchte nach Möglichkeiten, einen neuen Kessel bauen zu lassen.
99 4801-9 war schon seit August nicht mehr gefahren und inzwischen zur L 5 im Raw Görlitz. Ihr war dann bald die 99 1784-0 gefolgt. Sie stand zur Hauptuntersuchung L 7 an. Zwar war 99 4802-7 gerade im August 1989 aus Görlitz von einer L 7 zurück gekehrt, musste aber nach dem Fest im Oktober schon wieder abgestellt und dem Raw zugeführt werden. 99 1782-4 hatte im Herbst schließlich auch ihre Laufleistungsgrenze erreicht und trat die Reise zur L 5 nach Görlitz an.
99 4632-8 war nun also die alleinige Stütze. „Lokmangel“ hieß es, wenn sie einmal im Monat zum Auswaschen außer Betrieb ging. Um diesen Umstand etwas zu kaschieren, organisierte man in Absprache zwischen Bahnbetriebswerk und Bahnmeisterei zu diesen Terminen ohnehin erforderliche Gleisbauarbeiten und richtete einen Schienenersatzverkehr ein.
So begann das Jahr 1990 auf dem Rasenden Roland gar nicht so rasend.
Urlauber waren keine da und noch benötigten viele Anwohner die Zugverbindungen für ihren Arbeitsweg.
Ich arbeitete jetzt im Bw Stralsund und organisierte mir meine weitere „Karriere“. In jedem Sommer stockte das Bw den Personalbestand in der Einsatzstelle Putbus mit jungen Leuten auf, die im Schnellverfahren zum Heizer ausgebildet, in der Sommersaison den Mehrbedarf abfangen halfen. Das wollte ich unbedingt machen. Einmal planmäßig auf Dampf fahren und dann weiter sehen. So stellte ich mir meine Zukunft vor.
So bestand die Aussicht, ab Mai zur Est. Putbus zu wechseln. Ich freute mich darauf!
Für die Winterferien im Februar 1990 hatte die DR einen Zweizugbetrieb geplant und so musste sich das Raw Görlitz mit den Aufarbeitungen sputen. 99 4801-9 und 99 4802-7 wurden rechtzeitig fertig und konnten die 99 4632-8 unterstützen. Sogar eine DMV-Sonderfahrt mit der 99 4632-8 war noch vorgesehen. Da musste ich hin.
Kaum wiederzuerkennen. Das war tatsächlich der Bahnhof Binz Ost im Februar 1990. 99 4802-7 verlässt ihn gerade und ich mache mich mit meinem Freund Uwe auf eine Wanderung nach Sellin, ein letztes Mal. Uwe starb im Juni 1990.
Wer erkennt dieses Motiv? Na klar, 99 4632-8 erklimmt mit ihrem Sonderzug die Steigung zwischen Binz und Jagdschloss. Im Hintergrund kann man über die junge Lärchenschonung die Gärtnerei von Binz und die Landschaft um den Schmachter See erblicken, heute gibt es hier einen ausgewachsenen Wald. Ja, es war wirklich ein Sonderzug. Den Mehrbedarf an Sitzplätzen musste man seit Jahren mit zwei oder drei Modernisierungswagen decken.
Das wirkt schon bekannter. Der Sonderzug verlässt nach einem Fotohalt den Haltepunkt Jagdschloss. Die Pfeiftafel trägt heute an ihrer Rückseite eine H-Tafel. Hier beginnt der Bahnsteig des Haltepunkts, der ein wenig in Richtung Göhren verschoben wurde.
Filmwechsel, wenige hundert Meter weiter in Richtung Sellin kommt uns der Planzug mit 99 4802-7 entgegen. Hier sieht es heute noch so aus. Nur das Gleis ist neu.
Beim Warten in Sellin kommt uns der Sonderzug entgegen. 99 4632-8 war damals die letzte betriebsfähige Vertreterin ihrer Art. Ihre Schwesterlok 99 4633-6 hatte im Dezember 1988 ihre letzten Fahrten absolviert und wartete in Putbus auf einen neuen Kessel. Nur, wer sollte den bauen? Zum Ende der DDR-Zeit gab es keinen Betrieb mit freien Kapazitäten. So hofften wir, die 99 4632-8 noch öfter vor die Linse zu bekommen. Der Kesselprüfer verlängerte die Kesselfrist inzwischen nur noch widerwillig.
Das markante Haus im Hintergrund war in den 1920ern das "Gerhard-Hauptmann-Jugendheim" und wurde bis Anfang der 1990er als kleines Krankenhaus genutzt. Das Gebäude, ähnlich dem Schweizerstil ist nun schon lange abgerissen.
Mit dem folgenden Planzug ging es zurück nach Putbus, nicht ohne die Zugkreuzung in Posewald mit beiden Burger Loks festzuhalten.
99 1784-0 und 99 1782-4 kamen Ende Februar bzw. im April auch aus Görlitz, so dass mit dem Saisonbeginn am 1. Mai ein ausreichender Fahrzeugbestand zur Verfügung stand.
Und 99 4632-8 bespannte am 1. Mai nochmals einen Sonderzug. Im Plandienst wurde sie nun erstmal nicht mehr gebraucht. Der Kesselprüfer hatte ein Einsehen und verlängerte die Kesselfrist nochmals für einige Monate.
Ich war am 1. Mai natürlich auch vor Ort. Meine Dienststelle hieß jetzt Putbus und doch musste ich am Feiertag nicht arbeiten und konnte nochmals Fotos machen.
Jede Gelegenheit nutzend, fertigte ich am 1. Mai 1990 noch einige Portraits der 99 4632-8 an. Heizer Günter ahnte wohl noch nicht, dass ich ihm schon am nächsten Tag zur Heizerausbildung zugeteilt werden würde. Anlässlich einer Neulackierung des Fahrwerks zum 90jährigen Jubiläum hatte sie schwarze Radreifen bekommen.
99 1784-0 war Ende Februar aus der L 7 gekommen und rückt als Planlok des Lbf. Göhren in die Einsatzstelle Putbus ein, während Lokführer Rolf ihr die Weiche stellt. Im Hintergrund der bereitstehende Sonderzug. Es war der letzte Sonderzug unter der Regie des DMV auf unserer Bahn.
Etwas versteckt, der Anschluss in Richtung Lauterbach.
Weil immer wieder Loklaternen fehlten, fertigten die Putbuser Schlosser Anfang 1990 für die beiden Neubauloks Halter, ähnlich der BR 52, an und befestigten flache Anbaulampen. Da bei 99 1784-0 ein Lampenhalter zu hoch angeschraubt war, schielte sie nun immer etwas mit ihren neuen Laternen.
In Göhren fährt der Sonderzug mit 99 4632-8 aus. Nein, er hat keine Schiebelok, wie die Dampffahne am Schluss vermuten lässt. Die Planlok eines gerade angekommenen Zuges folgt dem Sonderzug zum Umsetzen auf dem selben Gleis. Das war es dann, die letzte DMV-Sonderfahrt auf dem Rasenden Roland.
Die Heizerausbildung umfasste nur 9 praktische Schichten, in denen mir Lokführer Thomas und Heizer Günter die wichtigsten Dinge beibrachten. Den Rest musste ich mir dann im Laufe der Jahre aneignen. Die formlose Heizerprüfung bei Bezirksinstrukteur Schulz war dann auch problemlos zu schaffen. Jetzt begann für mich der Spaß. In Stralsund hatte ich mich nicht so wohl gefühlt, wie seitdem hier auf Rügen.
Der Sommer auf der Kleinbahn sah bis 1990 8 tägliche Zugpaare vor. Der Lokbahnhof Göhren hatte mit seiner Planlok dabei die ganzjährig verkehrenden 5 Zugpaare ab Göhren zu bespannen. Der Frühzug fuhr dort gegen 4:45 Uhr nach Putbus ab und erst gegen 23:30 Uhr kam der Spätzug in Göhren an.
Besetzt wurde die Lok in zwei Schichten a 12 Stunden. Das wäre heute gar nicht mehr zulässig, war damals aber durchaus normal bei der Reichsbahn.
Die Putbuser Personale ergänzten das Angebot mit 3 Zugpaaren, beginnend etwa um 5:00 Uhr und endend schon mit der Ankunft kurz nach 16:00 Uhr. Trotzdem hatte es diese Schicht in sich. Dienstbeginn war um 3:00 Uhr und Dienstende um 16:40 Uhr. Ihr könnt Euch leicht die Dienstdauer ausrechnen. Und doch liebte ich diese Schicht! Auf 3 lange Tage folgten dann 3 Ruhetage, die das zweite Putbuser Planpersonal abdeckte. Ich war allerdings Urlaubs- und Krankheitsvertreter und arbeitete auch in Göhren.
Die beiden ersten Züge ab Putbus ab ca. 5:00 Uhr und ca. 7:00 Uhr gehörten den beiden Nachtschnellzügen, die Putbus im Sommer täglich aus dem Süden der DDR erreichten. Die Ausgangsbahnhöfe wechselten immer mal, aber nicht die eigentlich hohe Auslastung. Urlaub auf Rügen war der Renner und so musste die kleine Dampflok fast jeden Morgen mit Höchstlast auf Strecke gehen. Die Züge voller Urlauber und Handgepäck, das große Gepäck wurde meist per Expressgut vorangeschickt, waren für die kleinen Lokomotiven mit schlechter Kohle eine tägliche Herausforderung. Tagsüber riss der Strom natürlich kaum ab, weil in Binz auch die dort vom Regelspurbahnhof kommenden Gäste in die Züge drängten.
Aber 1990 war alles anders.
Die Reisewelle hatte sich von Ost nach West gewendet. Aus den Südbezirken kamen deutlich weniger Gäste. Von West nach Ost fanden damals noch wenige den Weg zum Urlaub auf Rügen. Das war zu unbekannt und Urlaub in der DDR war für die meisten Westdeutschen undenkbar.
So konnten die Saison-Schnellzüge nach Putbus ab 1991 eingespart bzw. wegrationalisiert werden.
Hätte ich diese Schnellzüge doch nur einmal fotografiert.
99 1782-4 wurde meine Ausbildungslok. Im Mai 1990 und die meiste Zeit des Sommers war sie Planlok in der Einsatzstelle Putbus. Dem Schmutz rückte ich mit Diesel und Putzlappen zu Leibe und zauberte sogar wieder etwas rote Farbe und sogar die ältere Raw-Anschrift hervor. Das Raw hatte bei der letzten L 5 einfach etwas rote Nitrofarbe über den Dreck geschmiert und ein neues Datum angeschrieben. Später lackierte ich diverse Stellen sogar noch einmal neu und schrieb das Datum mit freier Hand an.
Mittagspause in der Est. Putbus. Während die Kollegen ein schmackhaftes Essen in der betriebseigenen Kantine einnehmen, bin ich etwas früher zur Lok zurückgekehrt, um etwas zu fotografieren. Der graue Kohlehaufen verrät die typische Kohlequalität aus sowjetischen Landen, immerhin etwas stückig und nicht ausschließlich Grus.
Der Sommer 1990 geriet auf Rügen ganz anders, als noch ein Jahr zuvor. Urlaubsplätze und auch Plätze im Lokal waren ebenso leicht zu bekommen, wie auch Sitzplätze im Rasenden Roland, der normalerweise nur mit 8 Wagen über die Insel zuckelte, vorher waren es oft 12 Wagen.
Immerhin gestaltete sich der Lokeinsatz stabil.
Der Lokbahnhof Göhren konnte meist auf 99 1784-0 setzen. Sie wurde lediglich zu den Auswaschtagen durch 99 4801-9 bzw. 99 4802-7 vertreten. Die Burger Loks wurden bewusst schonend eingesetzt, denn mit den damaligen Radreifenmaterialen erreichten sie nur etwa 20.000 bis 30.000 km, bis eine Umrissbearbeitung wegen abgefahrener Spurkränze unausweichlich war. Im Umlauf des Lbf. Göhren standen damals aber schon täglich 250 km zu Buche. Leicht zu errechnen, wie viele Einsatztage das waren. In Putbus nutzte man 99 1782-4 als Planlok, die sich inzwischen aber technisch schon ziemlich am Ende befand. Ihr Kessel war in schlechtem Zustand, so dass häufig Stehbolzen abrissen und teilweise sogar durch austretendes Wasser für Heißläufer sorgten.
Ein solcher Heißläufer brachte mich unvermittelt auf 99 4632-8, die in der Saison 1990 ansonsten nur gelegentliche Sonderzüge gefahren hatte. Anfang Oktober 1990 wurde sie dann während einer Sonderfahrt schadhaft und musste für eine Untersuchung in Görlitz abgestellt werden.
Plantag bei 99 1782-4. Nicht nur die Stangen sind zum Ausgießen der Gleitlager abgebaut, der Azetylenentwickler deutet auch wieder auf auszubrennende Stehbolzen hin. Abgerissene Stehbolzen waren an dieser Lok über den ganzen Sommer ein dauerndes Ärgernis. Nicht mehr beherrschbare Spannungen im Stehkesselmaterial ließen auch die gewechselten Stehbolzen schnell wieder brechen. Der abgebaute Handgriff des Abschlammers (er liegt unter der Loklaterne hinter dem Heizhahn) deutet auf den Ereignisort hin. Der Stehbolzen war an der Stehkesselvorderwand in der Nähe des Abschlammschiebers gebrochen. Der Wechsel geriet für die Kollegen zur Turnübung. Ich erinnere mich gut daran. Das austretende Wasser war über einen Ausschnitt im Rahmen in das Achslager der Treibachse geträufelt, das sich stark erwärmte. Die Werkstatt musste also auch noch dieses Achslager nacharbeiten. Dafür war dann auf der provisorischen Achssenke die Treibachse abzusenken. Mir bescherte dieser Lokschaden allerdings meine erste Fahrt als Heizer auf 99 4632-8.
Ein ebenso häufiges Schadbild, in den nächsten Jahren noch viel häufiger, brachte 99 1784-0 in diese Schräglage. Sie musste mit Zahnstangenwinden hinten angehoben werden, um eine Tragfeder (die neue liegt im Vordergrund neben der Werkzeugkiste) zu wechseln. Federbrüche waren immerhin in einer normalen Zugpause zu reparieren.
Noch bis 1992 musste man mit diesen mechanischen Winden arbeiten, die an einer so schweren Lok an ihre Grenzen stießen. Dann bekam die Werkstatt tragbare hydraulische Heber.
Der normale Betrieb war aber natürlich nicht nur von Schäden und Reparaturen geprägt. Und doch hatte es der Sommer 1990 in sich. Gleich mehrfach schepperte es an Bahnübergängen. Noch gingen hauptsächlich PKW wie Lada und Skoda zu Bruch, aber auch schon der erste Mazda. Personen kamen nicht zu Schaden und unsere Lokomotiven merkten den Aufprall kaum. Hier war aber nichts passiert. Lokführer Andreas und Zugführerin Sabine warten lediglich eine Zugkreuzung in Seelvitz ab. Heizer Achim fotografiert. Bald werden wir alle den wohlverdienten Feierabend genießen.
Hier war noch lange nicht Feierabend. Gegen 20:00 Uhr hatten wir den Dienst in Göhren begonnen und hatten schon ein Zugpaar nach Putbus gefahren. Kurz vor Mitternacht wartet 99 1784-0 auf eine kurze Ruhe im heimatlichen Lokschuppen. Etwa 4 Stunden wird sie hier verschnaufen können, betreut und bewacht vom Lokpersonal. Das darf aber auch ganz offiziell etwas ausruhen, denn gegen 4:00 Uhr geht es wieder hinaus und gegen 4:45 Uhr hat es noch ein Zugpaar nach Putbus zu fahren. Gegen 8:00 Uhr ist dann Feierabend in Göhren. Diese 12 h-Schichten habe ich gern gemacht, denn nach zwei Tag- und zwei Nachtschichten gab es dreieinhalb Tage frei. Das war doch auch nicht zu verachten.
Die schlechte Standzeit der Spurkränze zwang 99 1784-0 dann Ausgangs der Saison schon wieder aufs Abstellgleis und sorgte für ihren nächsten Kuraufenthalt in Görlitz. Dieses jährliche Spiel war aber nicht weiter ungewöhnlich. 99 1784-0 hatte schließlich fast ausschließlich die kilometerintensiven Dienste in Göhren gefahren. Auch 99 4802-7 stand im Oktober nicht mehr zur Verfügung, so dass 99 1782-4 und 99 4801-9 die letzten Tage der Saison allein bestreiten mussten. Zugausfälle gab es aber nicht und bald begann wieder die Zeit mit nur einer Planlok, in der sie sich ablösen konnten.
Die Untersuchungen der 99 4802-7 und 99 1784-0 waren nicht aufwändig und dauerten auch nicht so lange, so dass es auch nach dem Fristablauf der 99 1782-4 Anfang 1991 zu keinem Engpass kam. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.
Im Oktober 1990 war die 99 4801 Planlok in Göhren. Mit einem abendlichen Personenzug steht sie zur Abfahrt in Putbus bereit. Diesmal war ich nicht im Dienst und konnte in aller Ruhe fotografieren.
Mit der Wirtschafts-Währungs- und Sozialunion ab 1. Juli 1990 wurde in der DDR nicht nur die Deutsche Mark eingeführt, es begann auch die Umstellung der Wirtschaft auf das westliche Wirtschaftssystem, womit nicht nur allenorts ein massiver Arbeitsplatzabbau und eine Schließungswelle der Industrie begann. Auch der Verkehr der Deutschen Reichsbahn brach massiv ein. Herrschte bis zur Wende bei der DR ständig Personalmangel, gab es jetzt einen beträchtlichen Personalüberhang. Das betraf mich ganz direkt, aber in einer durchaus positiven Weise.
Hatte ich Anfang 1990 noch hoch und heilig versprechen müssen, nach der Saison ins Stamm-Bw zurückzukehren, interessierte sich dort im Oktober 1990 keiner mehr für mich. Allerdings konnte mich der Lokleiter der Est. Putbus sehr gut gebrauchen, weil gleich 3 Heizerkollegen ab Anfang 1991 ihre Dampflokführerausbildung starteten. Ich wäre gern mitgegangen, aber ich hatte noch nicht genug Erfahrung gesammelt und musste noch warten. So ergatterte ich ab Anfang 1991 zunächst einmal eine Planstelle als Heizer in Göhren und damit auch eine bessere und regelmäßigere Dienstplanung. Aber ich will es ausdrücklich beim Berichtsjahr 1990 belassen.
Anfang Dezember 1990 gab es etwas Schnee. Ich hatte stationären Dienst und nutzte die Gelegenheit für Fotos der diensthabenden 99 4801-9. Nur wenige Stunden später hatte sich alles wieder in Matsch verwandelt. Rechts die nicht einsatzfähige 99 4632-8. Sie wurde 1991 noch einmal in Görlitz untersucht. Für fast genau ein Jahr erlaubte der Sachverständige noch einmal den Betrieb des Kessels. Dann war im Sommer 1992 endgültig Schluss. Aber da hatte sich die Zukunft der beiden Vulcan-Loks schon längst entschieden. Sie wurden neu bekesselt.
Im Februar und Mai 1990 hatte der Deutsche Modelleisenbahn Verband der DDR noch für die Sonderfahrten auf dem Rasenden Roland verantwortlich gezeichnet. Im Sommer organisierte der in Auflösung befindliche FDGB-Feriendienst noch einige wenige Sonderfahrten mit 99 4632-8, als Angebot für die Urlauber.
Mit dem Ende der DDR löste sich der Modellbahn-Verband dann sang- und klanglos auf. Die bisherigen Arbeitsgemeinschaften waren nun auf sich gestellt, lösten sich auf, oder organisierten sich neu, meist als eingetragene Vereine.
So etablierte sich der nunmehrige Modellbahnklub Saßnitz e.V. ab 1990 als führender Veranstalter von Sonderfahrten auf dem Rasenden Roland. An der Weihnachtssonderfahrt 1990 nahm ich als Heizer teil. Hatte der DMV bisher meist Sonderfahrten für Eisenbahnfreunde mit ausgeklügelten Fotohalten und Scheinanfahrten organisiert, orientierte sich der Modellbahnklub Sassnitz unter seinem 2020 verstorbenen Vorsitzenden Horst Thiele an Programmen für die ganze Familie. Neben Fahrten in der Weihnachtszeit wurden die alljährlichen Osterhasenfahrten und bis 2007 auch die Sonderfahrten zum Schulanfang absolute Renner im Programm und führten neben gestandenen Mannsbildern nun auch das weibliche Geschlecht und den Nachwuchs an das Thema Eisenbahn heran.
Weitere Sonderfahrten zu bestimmten Themen rundeten das Angebot ab.
Die Familiensonderfahrten der Sassnitzer brachten nicht nur Weihnachtsmann und Wichtel in den Sonderzugdienst, sondern mangels Alternative auch 99 1782-4. Für diese Art der Sonderfahrt ist die Zuglok aber nicht entscheidend. Wichtiger war die Stimmung im Zug, die Gemütlichkeit und natürlich kleine Geschenke für die Kinder, trotz nordisch typischem Schmuddelwetter ein Erfolgskonzept.
Seit 1987 baute die Hochbaumeisterei Sassnitz am Lokschuppen in Putbus. Wenn Material und Arbeitskräfte zur Verfügung standen, ging es Stück für Stück voran. Noch im Sommer 1990 mussten unter Dampf stehende Lokomotiven im Freien übernachten, weil die Holzkonstruktion des Daches unverkleidet war und der Brandschutz angeheizte Loks ausschloss. Zum Jahresende 1990 wurde der Schuppen dann fertiggestellt, zumindest in seinem endgültigen Zustand. Fertig verputzt wurde er nie.
1991/92 entstand dann noch der seitliche Werkstattanbau neu.
Nach der Weihnachtssonderfahrt ruhte die 99 1782-4 dann im fast fertigen Lokschuppen aus. Der abgebordete OO 97-44-08 steht noch mit einigen Deckenplatten beladen links im Bild und dient mir als Podest. Ein Gerüst und eine zur Seite gebundene Lampe verrät noch Arbeiten am zweiten Schuppentor. Wände und Decke sind strahlend weiß. Im Dampflokschuppen aber nicht lange.
Im Januar 1991 (man verzeihe mir diesen Ausflug ins nächste Jahr) ist dann alles fertig. Decke und Wände strahlend weiß und das Gleis kann jetzt wieder für Lokomotiven genutzt werden. Beide Burger Lokomotiven sind kalt in Reserve abgestellt. Nein, es hat nicht durch ein undichtes Dach herein geregnet. Die Kollegen der Werkstatt haben den Fußboden mittels Wasserstrahl gereinigt. Der Schlauch liegt im Hintergrund am Boden.
Alle Fotos: Achim Rickelt
Und doch stand der Rasende Roland zum Jahresende 1990 unter keinem guten Stern. Die DR hatte inzwischen offen bekannt, dass man sich von der Schmalspurbahn lieber heute, als morgen trennen wolle. Wie es weiterging und dass die Entwicklung ein Happy End hatte, wissen wir heute. Damals war das aber nicht klar.
In diesem Sinne verabschiede ich mich von Euch.
Viele Grüße
Euer Dampf - Achim Rickelt