Restaurierung der Oberwiesenthaler Warnlichtanlage

  • Glück Auf,

    Seit vielen Jahren beschäftige ich mich u.a. mit historischen Wegübergangssicherungsanlagen, konkret mit den Warnlichtanlagen aus der Vorkriegszeit. Auslöser dafür war der Umstand, daß es auch in meiner Heimatstadt Kirchberg an der WCd-Linie eine solche Anlage zwischen 1939 und 1967 gegeben hat und ich 2005 in Besitz der zugehörigen Unterlagen gekommen bin. Seitdem lässt mich dieses Thema nicht mehr los.

    Inzwischen weiß ich, daß es im Gebiet der ehemaligen Reichsbahndirektion Dresden 20 derartige Warnlichtanlagen gegeben hat. Jens Herbach hat auf seiner Homepage sachsenschiene.desogar alle aufgelistet, sortiert nach dem Datum der Inbetriebnahme. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön für diese Fleißarbeit!

    Damit man weiß um was es geht, hier eine Kurzübersicht zu Aussehen und Funktion:

    Auch am Wegübergang mit der heutigen Bundesstraße 95 in Oberwiesenthal (km 16,452 CW) war zwischen 1. Februar 1940 und Sommer 2005 eine solche Anlage in Betrieb, auch wenn Dieselbe im Laufe der Zeit natürlich den gesetzlichen Rahmenbedingungen angepasst wurde. Ihr äußeres Erscheinungsbild entsprach seit Anfang der 1960er Jahre nämlich den damals üblichen Wegübergangssicherungsanlagen der DDR, also nur noch mit rotem Blinklicht im Andreaskreuz. Doch das soll nicht täuschen, denn hier kommt es eindeutig auf die "inneren Werte" an.

    Denn hat man bis 2005 bei einer Fahrt nach Oberwiesenthal aus dem Fenster geschaut konnte man - außer den alten Überwachungssignalen So 16 direkt vor dem Wegübergang - bahnlinks den zugehörigen Schaltschrank ausmachen, dessen Tür mit dem Firmenlogo der "Vereinigten Eisenbahn-Signalwerke" (VES im Kreis) verziert war bzw. noch immer ist. Genau DAS erregte meine Aufmerksamkeit, denn neben der Firma Pintsch, welche die Kirchberger Anlage errichtete, haben auch die VES Warnlichtanlagen gebaut. Leider war mir das auch erst bei meinem dortigen Besuch im April 2005 richtig bewusst. Zu einem zweiten Besuch mit funktionstüchtiger Anlage sollte es nicht mehr kommen, da sie im Sommer 2005 außer Betrieb genommen und gegen eine rechnergesteuerte Halbschrankenanlage ersetzt worden ist. Was blieb, ist der Schaltschrank. Bis August 2020 fristete er ein unscheinbares Dasein, zeitweise recht eingewachsen und von Korrosion gezeichnet, aber gegen Vandalismus in weiser Voraussicht durch die SDG gesichert (Danke!!!). Sein Innenleben konnte daher unverändert erhalten bleiben.

    Der Schaltschrank noch am angestammten Ort, 11. Juli 2020.

    Durch unseren Zuzug nach Neudorf und einem entsprechenden Platzangebot auf dem Grundstück, schoss mir eines Tages der Gedanke in Kopf "man könnte doch mal fragen, ob der Schaltschrank noch benötigt wird....". Gesagt getan, etwas Verhandlung mit den zuständigen Stellen der SDG und die Sache war geritzt. Am 11. August 2020 habe ich mir einen LKW mit Ladearm und eine Benzin-Flex organisiert und das Projekt Warnlichtanlagen konnte starten. Vorher wurde jedoch noch die alte Anlagenbatterie, bestehend aus 8 Glaszellen a 2 Volt der sachgemäßen Entsorgung im Wertstoffhof zugeführt, denn diese war nicht mehr zu gebrauchen. Demontage in Oberwiesenthal und der Transport nach Neudorf verliefen problemlos und noch am selben Tag stand das gute Stück bei mir auf der Wiese.

    Die alte Batterie war nicht mehr zu gebrauchen.


    Und er hängt am Haken, 11. August 2020.

    Die folgenden Tage standen ganz im Zeichen der optischen Aufarbeitung des Schrankes, mit Flex und Rostschutzfarbe ging es der Korrosion zu Leibe.

    Natürlich musste auch mal getestet werden, ob sich noch was regt im Schrank, wenn Spannung angelegt wird. Also wurde eine 12 V-Motorradbatterie gekauft, aufgeladen und angeklemmt. Und siehe da, als wäre nichts gewesen, klackten die entsprechenden Relais und der WSSB-Pendelblinker lief selbsttätig an, ohne Hilfe. Und das 15 Jahre nach Außer- und 80 Jahre (!) nach Inbetriebnahme! Ein unbeschreibliches Faszinosum!

    14. August 2020

    27. August 2020

    So weit so gut. Doch mit einem Pendelblinker kann man keine Warnlichtanlage nach Regelschaltung V 298 betreiben, da jener nur 1 Blinkfrequenz bringt und nicht 2 Unterschiedliche, wie es ursprünglich gewesen ist und auch wieder sein sollte. Abhilfe dafür stand schon bereit, denn bei den Signalwerkern am Standort Aue der DB Erzgebirgsbahn hat ein Pintsch-Motorblinker überlebt, der vermutlich für die Kirchberger Anlage als Ersatzteil vorgehalten wurde. Dieser war so gut wie neuwertig und voll funktionsfähig. Aber wird sich ein Pintsch-Bauteil bei der "Konkurrenz" VES wohlfühlen? Probieren geht über studieren. Es kam mir etwas wie eine Herztransplantation vor, aber der Tausch lief problemlos und auch der Motorblinker ist nach Anschluss der elektrischen Leitungen von selber losgelaufen.

    Noch ist der WSSB-Pendelblinker eingebaut, der Motorblinker liegt daneben, 1. September 2020.

    Der Pintsch-Motorblinker ist eingebaut und funktioniert (Gehäuse abgenommen).


    Schaltschrank in der vollen Bestückung, 6. September 2020.

    In VES-Warnlichtanlagen sind vom Werk her Thermoblinker eingebaut worden. Der Blinker der Oberwiesenthaler Anlage wurde etwa 1963 gegen den WSSB-Pendelblinker ersetzt. Der Verbleib des originalen Thermoblinkers - einem Bauteil, was zum Schrecken jedes BWLers völlig wartungsfrei und ohne mechanischen Verschleiß arbeitet - war zunächst unklar. Heute weiß ich, daß die Eisenbahnfreunde im benachbarten Bahnhof Schlettau einen solchen Thermoblinker als Exponat in ihrer "Ausstellung" haben. Ich vermute sogar, es ist exakt jener Blinker, der zur Oberwiesenthaler Anlage gehörte. Leider ist der Begriff "Ausstellung" in Bezug auf das gute Stück etwas zu hoch gegriffen. Er liegt in einem finsteren Schrank, unscheinbar in einer Ecke und ohne jegliche Beschreibung. Im Schaltschrank seiner ursprünglichen Funktion wieder zugeführt, würde ihm wahrlich besser stehen...jedoch waren alle bisherigen Verhandlungen mit den betagten und wohl auch etwas verständnislosen Vereinsmitgliedern bisher erfolglos... .

    Der nächste Arbeitsschritt sollte nun der Bau des Warnlichtsignalmastes sein. Für das Andreaskreuz konnte ich auf eines aus DR-Beständen mit Wabe zurückgreifen, welches in liegender Ausführung auch vor dem Kriege schon zum Einsatz kam. Komplett neu gebaut werden mußte das Tragschild für die beiden Signallaternen. Entsprechendes Blech war schnell organisiert, lackiert und mit zwei Löchern für die Laternen versehen. Die für Warnlichtanlagen typischen Katzenaugen auf dem Warnkreuz und dem Tragschild entstanden aus rotem und weißem Reflexionsklebeband und einem Schnapsglas;-)

    Dann war erstmal gaaaanz lange Winter, an Außenarbeiten also nicht zu denken. Erst als es Anfang 2021 immer mal wieder taute, ging es wieder Stück für Stück ans Werk. Inzwischen waren Warnkreuz und Tragschild fertig und am Mast montiert. Als Laternen kommen WSSB-Hauptsignallaternen mit roter und blauer Farbscheibe zur Anwendung. Das blaue Filter ist notwendig, um aus der gelblich leuchtenden Glühbirne (Doppelfadenlampen, nur je 1 Faden in Betrieb) weißes Licht zu erzeugen.

    Ein WSSB-Endverschluß hinter dem Tragschild verbindet die Leitungen von den Laternen wettergeschützt mit den Leitungen zum Schaltschrank.

    Nun ging es an die eigentlichen Schaltarbeiten im Schrank. Glücklicherweise lagen mir sowohl die originalen Schaltungsunterlagen als auch die Kabel- bzw. Klemmenpläne vor, so daß sich der Aufwand in Grenzen hielt. Umfangreichere Schaltarbeiten erforderte jedoch der Motorblinker, der in Grundstellung der Anlage weißes und in Warnstellung rotes Blinklicht bringen muß. Hierfür mußten am Signalsteuermagnet einige Drähte umgeklemmt werden, so daß die Schaltung wieder der ursprünglichen Form aus der Zeit vor 1960 entsprach. Nach einigem Rätseln und probieren ist dies gelungen.

    Signalsteuermagnet, welcher die Umschaltung von Weißlicht auf Rotlicht herbeiführt. Der rote Punkt bedeutet, daß der Magnetschalter in Grundstellung angezogen ist. Bei der kleinsten Unregelmäßigkeit in der Schaltung fällt er ab und bringt, zur sicheren Seite reagierend, das rote Warnlicht.

    Da die Warnstellung der Anlage natürlich nicht mehr vom Zug herbeigeführt werden kann, habe ich die an der Außenseite des Schrankes unter einem Schutzkasten angebrachte Taste - von der Bauform her eine Block-Wecktaste mit Holzknauf - wieder aufgearbeitet. Mittels dieser Taste kann durch einmaliges drücken das rote Warnlicht eingeschaltet werden. Die Rückumschaltung auf das weiße Betriebszeichen der Grundstellung erfolgt nach 135 Sekunden selbsttätig durch den zu DDR-Zeiten eingebauten automatischen Grundsteller. Dieses Bauteil hätte eigentlich gar nicht mehr in der Anlage in Betrieb sein dürfen, da zeitabhängige Ausschaltglieder in automatischen Wegübergangssicherungsanlagen bereits seit 1968 in der DDR unzulässig waren (im Bundesbahngebiet gibt es sie zum Teil bis heute). Hintergrund des Verbotes war eine per Ministerratsbeschluß angeordnete, grundlegende Überprüfung aller technischen Sicherungsanlagen an Wegübergängen als Folge des schweren Unglücks von Langenweddingen 1967.

    Der automatische Grundsteller, darunter die Grundstellungs- und Prüftaste.

    Im Sommer 2021 war die Anlage dann soweit fertiggestellt, daß sie vom interessierten Besucher bedient werden konnte. Seither ist sie zuverlässig Tag und Nacht in Betrieb und dürfte eine deutschlandweite Einmaligkeit darstellen.

    18. Dezember 2021

    Geschichtlich interessant ist, daß die Oberwiesenthaler Warnlichtanlage zum Einen die vorletzte in Betrieb genommene Anlage in Sachsen (Ibn 1. Februar 1940) und zum Anderen die unmittelbar nächstgebaute Anlage nach der Kirchberger Warnlichtanlage (Ibn 20. Oktober 1939) gewesen ist.

    Im Rahmen meines Projektes "Eisenbahntechnische Schauanlage zu Neudorf" werden 2022 im Umfeld der Warnlichtanlage noch weitere Details dazukommen, so zum Beispiel ein originaler Pintsch-Kabelverteiler und ein Neptun-Schienenstromschließer (mit diesen Gleisschaltmitteln wurden sowohl die Warnlichtanlagen als auch die ersten WSSB-Anlagen standartmäßig ausgerüstet, bis sie in den 1970er Jahren durch Impulsgeber mit Schutzgaskontakt abgelöst wurden).

    Bestaunen kann man die zukünftige Schauanlage sowohl vom Zuge aus (einige Minuten nach Abfahrt vom Bf Neudorf in Richtung Oberwiesenthal bahnrechts) und natürlich auch direkt auf einer Wandertour auf dem "Erlebnispfad Bimmelbahn", welcher unmittelbar bei uns vorbeiführt.

    Vielleicht sieht man sich mal ;)

    Ein frohes Weihnachtsfest wünscht

    Mike

  • Glück Auf,

    Vielleicht sieht man sich mal ;)

    Hallo Mike,

    dieser "Einladung" möchte ich gern mal nachkommen. Mal sehen ob es im Winter 2022 wird... :wink:

    Dann kann ich mich vielleicht auch über die Funktionsweise eines "Thermoblinkers" weiterbilden. Gern bei einem Gläschen Glühwein...

    "Ganz großes Kino" wie Du Dich als eigentlich Bediener/Überwacher solcher Anlagen auch in die technischen Grundlagen einarbeitest und damit einen - an und für sich unscheinbaren - Schatz für die Nachwelt erhältst. Da können sich unsere Digital-Fetischisten mal ein Auge holen und sehen wie bereits unsere Urgroßväter mit einfachsten Mitteln für die Sicherheit des Bahnbetriebs sorgten. Ohne millionenschwere Anlagen die bei jedem zweiten Gewitter in die ewigen Jagdgründe verdampfen.

    Frohe Weihnachten wünsche ich auch Dir,

    vielleicht legt ja eines Tages der Weihnachtsmann einen Thermoblinker unter den Weihnachtsbaum. :schein:

    (Das war ein kleiner Wink mit der Schlittenkufe an die Schlettauer Museumskollegen!)

    +++ :saint: Zum Nach- (und ggf. Quer) denken: Horst und Berta aus der schönen Oberlausitz :) +++

    Nebenbei zitiert: "Der Zweck des Forums liegt im Austausch zu Schmalspurbahnen, schmalspurigen Modellbahnen, historischen Eisenbahnen und damit verwandten Themen."

  • Hallo in die Runde,

    Vielen Dank für die bisherigen Wortmeldungen und Reaktionen. Ich freue mich:-)

    Auf dem verlinkten Video von Rolf kann man die Funktionsweise eines Thermoblinkers gut erkennen. Leider ist das eben nur ein einfacher Blinker, der auch nur 1 Blinkfrequenz bringen kann. Die alten Blinker der Warnlichtanlagen waren mindestens doppelt so groß und haben noch ein zweites Rohrsystem für die zweite Blinkfrequenz (45 Blinke/Minute für das weiße Licht, 90 Blinke/Minute für das rote Licht).

    Gruß Mike

  • Mike,

    Deinen Bericht find ich klasse und nicht nur den, sondern natürlich auch die beschriebenen Exponate!

    Oft habe ich ja quasi vor Deiner Haustüre gestanden um in der Kurve (ich weiß, eigentlich Bogen) zu fotografieren.

    Da möchte ich mich der "Androhung" von Niels anschließen und würde das auch gern mal näher inspizieren :)

    Leider war heuer meine Besuchsfrequenz am Berg eher niedrig. Ich hoffe das ändert sich bald wieder..

    Viele Grüße und gesegnete Feiertage

    Norman

    gesendet von meinem robotron KC 87