Der Schmalspurbahnhof Wermsdorf

  • Wermsdorf den 13.05.1981

    Der „S51“ rollte in den Ort ein. Seine Besatzung allerdings verlor langsam die Geduld. Mein Klassenkamerad J.., ein 15-Jähriger, saß am Lenker während ich, der 14 ½ – Jährige, auf dem Sozius hockte.

    Das war nun schon der 2. Ort an dem wir unsere Schmalspurbahn suchten. Eigentlich wollte ich Kroptewitz anfahren. Doch dann bogen wir irgendwo falsch ab und landeten statt dessen in Grimma.

    Dort sagte uns ein Mann, dass nach Kroptewitz schon lange keine Schmalspurbahn fuhr.

    Als Alternative hatte ich Wermsdorf auf dem Plan. Die uralten Landkarten, die ich zuhause für die Streckenplanung studiert hatte, wiesen den Ort noch als mit der Bahn verbunden aus. Wermsdorf sollte ein Endbahnhof sein.

    Doch konnte man Karten trauen auf denen das Land Sachsen in seinen Umrissen aufgeführt wurde? In der DDR war das doch in einzelne Bezirke unterteilt!

    Mein Problem war, dass es sich bei dieser Bahn um den kläglichen Rest des Mügelner Schmalspurbahnnetzes handelte. 1981 wurde auf dieser Strecke kein Personenzugverkehr mehr betrieben. Lediglich Güterzüge fuhren noch. Und die wurden in öffentlichen Fahrplänen nicht erfasst.

    Dass die Bahn noch von Oschatz nach Mügeln führte, wusste ich. Doch wie weit darüber hinaus und wohin konnte ich nur vermuten.

    Nun waren wir hier in Wermsdorf und suchten die Bahnhofsanlage. Wo könnte sie sein?

    Ein Schloß erweckte unser Interesse. So ein riesiger Kasten stand hier herum! Die Anlage war den Schlössern in Dresden und Umgebung durchaus ebenbürtig.

    Jedoch flaute unsere Neugier rapide ab als wir ein Schild bemerkten. „Poliklinik Hubertusburg“ stand als Überschrift über diversen weiteren Hinweisen.

    Das war ein Krankenhaus und kein Museum. Damit brauchten wir keinen Fotostopp einlegen.

    Im Nachhinein sollte sich das als ein Fehler herausstellen.

    Aber wo war nur die Eisenbahn?

    Eine Frau in einem Vorgarten wies uns die Richtung.

    „Aber da ist doch nichts!“ rief sie noch in den aufheulenden „S51“-Motor. Ich wandte ihr noch einmal den Kopf zu. Doch J.... hatte schon ein gekuppelt und fuhr los.

    Der Bahnhof war nun schnell gefunden. Und die Frau hatte recht gehabt. Hier war der Zug schon seit Langem abgefahren. Die Gleise hatte er praktischerweise gleich mitgenommen. Das Empfangsgebäude stand zwar noch. Aber sonst nichts mehr.

    Auf dem Schotterbett wucherte das Gras.

    Wir fuhren auf der Bahnhofszufahrt an das leerstehende Haus heran. Noch waren keine sonderlichen Merkmale des Verfalls zu sehen.

    Die Fassade hätte mal wieder einen Anstrich gebraucht. Doch das war zu DDR-Zeiten nichts Ungewöhnliches.

    Dach und Regenrinnen waren weitestgehend intakt. Aber einige Scheiben hatte man schon eingeschlagen.

    Das Haus stand erst seit kurzem leer und war offensichtlich noch anders genutzt worden.

    Leicht verwittert konnte man am Giebel noch den Schriftzug „WERMSDORF (b. Oschatz)“ lesen.

    Nun, wenn wir schon mal hier waren dann sollte wenigstens Zeit für ein Gemeinschaftsfoto sein.

    Der Zeitplan war eh im Eimer.

    Unseren Zug aus Oschatz, den wir kurz hinter Oschatz noch einmal auf freiem Feld erwischten, würden wir nirgendwo mehr erreichen.

    Ein größerer Schotterhaufen erschien mir als „Hilfsstativ“ geeignet. Ich nahm die Contax D aus der Bereitschaftstasche und richtete sie ein. Dann spannte ich den Selbstauslöser und lief zum Mokick.

    Etwa 10 Sekunden gab mir der Selbstauslöser Zeit dann klickte der Verschluss der Kamera.

    Manchmal war es ganz praktisch das die Contax D eine sehr laute Mechanik hatte. Das Klatschen des Verschlusses war deutlich zu hören.

    Bei diesem Foto beließ ich es in Wermsdorf. Wir schwangen uns wieder auf den „S51“ und steuerten Mügeln an. Dort war ich sicher, dass wir wieder auf Gleise stoßen würden. Vielleicht fuhr nachmittags noch ein Zug ein.......

    Wermsdorf den 19.05.2019

    Da war man gerade mal 38 Jahre nicht hier gewesen und schon sah alles anders aus.

    Nur Eines blieb gleich.

    Ich suchte wieder mal in Wermsdorf die Eisenbahn bzw. den Bahnhof.

    Dabei war ich schon dreimal an dem Gebäude vorbei gebrettert.

    Erst der Tipp mit dem „Hotel Seehof Döllnitzsee“, den ich vorhin im Schloss bekam, brachte mich zurück an die Stelle des alten Schmalspurbahnhofs Wermsdorf.

    Nun saß ich hier gewissermaßen im Gleisbereich des Bahnhofes und wartete statt auf den Zug auf mein Mittagessen.

    Tja! Als ich 1981 hier ankam, hätte ich auch vergeblich auf den Zug gewartet. Gleise waren schon nicht mehr zu sehen gewesen. Man hatte sie etliche Jahre zuvor abgebaut.

    Allerdings war der heutige Anblick der Anlage wesentlich erfreulicher als damals bei meinem 1. Besuch.

    Die Speisenfolge wurde serviert.

    Passend zum Thema des Tages, immerhin galt mein Besuch auch dem „Jagdschloss Hubertusburg“, hatte ich ein Wildgericht bestellt. Dazu gab es gutes sächsisches Schwarzbier. War das etwas Besonderes? Nun! Für einen Exilsachsen schon.

    Während ich aß sinnierte ich darüber wie es hätte kommen können.

    Was wäre geschehen wenn der „olle Fritz“ dem Sohn des „August dem Starken“ das hiesige Schloss nicht verleidet hätte?

    Dann wäre möglicherweise Wermsdorf jetzt sächsische Residenz und Dresden eine Stadt unter Vielen.

    Ich würde dann nicht in einer aufgelassenen Bahnhofsanlage zu Mittag essen. Wahrscheinlich würde ich hier eine ausgewachsene Regelspuranlage vorfinden.

    Doch der Preußenkönig hatte dem sächsischen Kurfürsten seine Nebenresidenz geplündert und verwüstet. Danach kam der Sachse nicht mehr her.

    Erst ein Nachfahre, der König Albert, besuchte die Gegend wieder zur Jagd. Doch der residierte lieber im „alten Jagdschloss“, dem Renaissancebau.

    Ich griff zu meiner Konica-Minolta und fotografierte das Bahnhofsgebäude vom Tisch aus.

    Vorhin hatte ich versucht meinen alten Fotostandort einzunehmen. Es war nicht möglich gewesen.

    Denn da, wo ich einst mit Jens und seinem „S51“ stand, hatte man Stützmauern gesetzt. Erdreich war aufgeschüttet und ein Gartenteich angelegt worden.

    Mein „Hilfsstativ“, jener Schotterhaufen, war natürlich längst verschwunden. Schon klar.

    Da, wo ich einst die Contax D platzierte, befand sich nun der Gartenzaun wenn nicht gar das kürzlich errichtete Wohnhaus.

    Auf jeden Fall verdeckten heute große Büsche die damalige Sicht auf das Bahnhofsgebäude.

    Die Tür im Giebel hatte man teilweise aufgemauert und den flankierenden Fenstern angeglichen.

    Die Hotelbetreiber hatten den alten Schmalspurbahnhof liebevoll aufgearbeitet und nutzten das Gebäude als Restaurant. So dient das alte Haus wenigstens im weitesten Sinne wieder dem kommenden und gehenden Reisenden.

    Aus dem Empfangsgebäude wurde ein Gasthaus.

    Leider scheinen die heutigen Besitzer mit der alten Schmalspurbahn nicht so viel im Sinn zu haben. An dem Bau findet man keinerlei Hinweise auf seine ursprüngliche Funktion.

    Die alte Beschilderung ist übermalt worden. Auch im Inneren gab es keine direkten Hinweise auf die Eisenbahn.

    Ein Hinweisschild auf die alte Bahnhofsanlage, vom Heimat und Verschönerungsverein Wermsdorf e.V. aufgestellt, fand man draußen, auf der anderen Straßenseite.

    Der Stausee, den ich hinter dem Schild sah, war mir 1981 gar nicht aufgefallen.

    Allerdings recherchierte ich später, dass der See in den Jahren von 1981 – 1984 rekonstruiert wurde.

    Möglich, daß wir damals an einem leer gelaufenen Staubecken vorbeigefahren waren.

    Seit 2014 häufen sich Nachrichten über eine geplante Streckenerneuerung von Glossen nach Wermsdorf.

    Ich hoffe sehr, dass es einmal möglich wird, von Oschatz nach Wermsdorf mit dem Zug fahren zu können.

    Gerade in Anbetracht dessen, dass „der alte Kasten“, das Rokoko - Schloss Hubertusburg, eine gewisse museale Bedeutung zu entwickeln beginnt.

    Die alte Schmalspurbahn und die beiden Schlösser ergänzen sich sicherlich bestens.

    Der Schlossbesuch hatte mich durstig gemacht. Beim Mittagessen vorhin war es wohl ein Bierchen zuviel gewesen.

    Durst hatte ich keinen mehr. Aber Autofahren sollte ich auch noch nicht.

    Nun, das alte Jagdschloss Wermsdorf wollte ich eh noch fotografieren.

    So weit entfernt, dass man es nicht zu Fuß erreichen konnte, war es nicht.

    Ich ließ „Potemkin“, meinen „124-er Daimler“, auf dem Parkplatz stehen und machte mich auf den Weg zum Schloss.

    Etwas Bewegung würde mir gut tun. Und dem Daimler war es egal wo und wie lange er auf mich warten musste........

  • Hallo "Altglaser" und alle Freunde unserer sächsischen Schmalspurbahnen,

    Danke für Deinen schönen Bericht, 1981 war dann doch schon etwas spät für ein Bahnerlebnis in Wermsdorf am Horstsee. Mir war es noch vergönnt - ich bin mit dem Zug nach Wermsdorf gefahren! Im Frühjahr 1972 war das noch möglich. Und ich hatte eine wahnsinns-tolle Kamera dabei, eine 6x6-Rollfilmkamera Marke CERTINA der Volkseigenen Fotoindustrie.... =O und die war sowas von Sch.... :thumbdown: aber was Besseres konnte man sich damals als Jugendlicher nicht leisten. Es sind trotzdem ein paar Bildchen entstanden, mehr schlecht als recht, der Erinnerungswert aber bleibt enorm. Zwei davon möchte ich Euch hier zeigen. Ein bißchen Fotobearbeitung ist auch mit dabei, aber mehr ist aus den "ollen Kamellen" beim besten Willen nicht heraus zu holen. Immerhin, man erkennt sogar die Loknummer und die war gerade neu nach dem EDV-Loknummernsystem der DR.

    Der Zugverkehr endete damals in Wermsdorf, das weiterführende Gleis Ri. Mutzschen lag noch und war mit einer Sperrscheibe abgeriegelt. Die Fahrgastzahl war sehr überschaubar. Aus meiner Erinnerung heraus waren's keine 10 Leut'chen, die bis zum Endpunkt mitgefahren waren.

    Hier die Lok 99 1584-4 beim Umsetzen, ein neues (EDV-)Lokschild gab's nur für die Rauchkammertür, an den Seiten hatte man die zusätzlichen Ziffern nur angepinselt. Das nächste Mal war ich Ende der Siebziger Jahre in Wermsdorf, da war buchstäblich "Gras" über die "Sache" gewachsen. Schön, dass wenigstens das Empfangsgebäude als Hotel Seehof Döllnitzsee überlebt hat. Lt. Website hat man da bisher das Corona-Wirrwarr gemeistert und wenn man in der Wermsdorfer "Ecke" unterwegs ist, kann man ein Einkehren dort nur bestens empfehlen...

    meint der Lindenauer

    Micha

  • :rp:

    Vielen Dank, liebe Eisenbahnfreunde, für die positiven Reaktionen auf mein "Erstlingswerk" in diesem Forum. Das macht Mut zu mehr....

    Hallo Micha alias "Lindenauer".

    so schlecht finde ich Deine Bilder gar nicht. Es kommt nicht so sehr auf die Kamera an. Sondern "off dään an, där da hindn neinguggd und vorne offs Gnäbbchn driggd". Die Bildkomposition ist absolut stimmig. Und man kann auch das Gebäude im Hintergrund gut erkennen. Das einfache Objektiv hat ein paar Randunschärfen. Aber das ist nichts was man nicht mit Photoshop & Co. in Griff bekommen kann. Hast Du die Bilder als Papierabzug gescannt oder vom Film selbst? Wenn Du die alten Filme noch hast empfehle ich immer die zum Scannen zu nehmen. Selbst wenn die Negative bzw. Dias schon verkratzt und verschmutzt sind lässt sich daraus meist noch mehr machen als vom Abzug der ja schon eine Kopie ist. Wenn Du keinen Rollfilmscanner hast googel mal den Begriff "NimmFilm". Dahinter verbirgt sich ein kleines aber feines Fotolabor in Leipzig. Ich schicke da regelmäßig meine Filme zum Entwickeln hin. Die Jungs und Mädels bieten auch Scannservice an. Kostet halt etwas. Aber, wenn man nicht unbedingt in einen neuen Scanner investieren will, ist das eine gute Alternative.

    Hallo "Saarsachse"!

    welcher Gasthof ziert denn da das Titelbild Deines Buches? Ich schätze, dass ich 2022 wieder in Dresden und Umgebung zu tun habe. Dann will ich auf jeden Fall wieder einen Abstecher nach Nordsachsen machen. Neben der Eisenbahn habe ich dort noch ein paar andere Fotoprojekte.

    Ich wünsche Euch Allen ein gesundes Weihnachtsfest

    Liebe Grüße Sören

  • Hallo Sören,

    auf dem Buchdeckel ist der Gasthof "Zum Bahnhof" zu sehen, der sich neben der Stelle befindet, wo damals das Heizhaus in Wermsdorf stand.

    freundliche Grüße aus Penig!

    Michael