Wie die Harz-Aficionados unter uns ja sicher wissen, besaß die Nordhausen-Wernigeroder Eisenbahn in Nordhausen einige regelspurige Anschlussgleise, die sie mit einer eigenen Dampflokomotive bediente. Nach dem Krieg wurden sie natürlich wie alles andere auch der DR zugeschlagen.
In den Quellen dazu gibt es leider einige Unklarheiten zur Zuordnung der einzelnen Gleise. Hier einmal ein Übersichtsluftbild von Google Earth.
Es gibt drei Bücher, die diese Anschlussgleise erwähnen.
- Zum einen ist das der Röper/Zieglgänsberger, das Standardwerk in DDR-Zeiten. Dort findet sich im Buch über die Harzquer- und Brockenbahn sogar eine Karte oder besser Prinzipskizze.
- Zum Zweiten in Endischs zweibändigem Auftragswerk "Von der GHE zur HSB", dass zum 125-jährigen jubiläum der Selketalbahn erschien, wo die regelspurigen Anschlüsse im Text aufgezählt werden.
- Und dann gibt es noch von Jürgen Steimecke "Strecken und Bahnhöfe der Schmalspurbahnen im Harz" von 2018, wo mit sehr vielen Bildern und Luftbildern alle Anschlüsse und Anschlusspläne vorgestellt werden, die regelspurigen Anschlüsse aber leider auch nur als Texterwähnung vorkommen.
Die Anschlüsse A und B waren demnach Anschlüsse vom Schachtbau Nordhausen. Mehr zu dem Unternehmen und seiner langen Geschichte erfährt man bei Wikipedia hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Schachtbau_Nordhausen und hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Gebhardt_%26_Koenig
Auch Dirk Endisch erwähnt in seinem Buch "Von der GHE zur HSB" diesen Anschließer (nennt die Vorgängerfirma aber "Gebhardt & Koening"). Ebenso wird der Anschluss von Steimecke: Strecken und Bahnhöfe der Schmalspurbahnen im Harz erwähnt, hier unter Gebhardt & König. Steimecke berichtet außerdem, dass hier das IFA-Werk Nordhausen seine Fahrradproduktion durchführte. Ich dachte aber, dass die Produktionshalle, die extra für die Fahrradproduktion gebaut wurde (und mittlerweile auch schon wieder abgerissen wurde) an der Freiherr-von-Stein-Straße stand. Oder gabs an der von Steimecke genannten Stelle eine Vorgängerproduktion?
Der Betriebsteil, dessen Anschluss in weitem Bogen bis direkt an der Zorge führte, war ursprünglich einmal ein Handelsunternehmen für Eisenbahnbedarf, weswegen dort Gleise in diversen schmalspurigen Spurweiten vorhanden waren, um z. B. Feldbahnen vieler Hersteller vertreiben zu können.
Der Anschluss C gehört der Firma F. A. Wolfram, einem im Vorkriegsdeutschland sehr großen Eisenwarenhandel. (Nach der Wende und Rückübertragung haben sie es noch einmal ein paar Jahre versucht, aber da war der Markt längst unter westdeutschen Firmen aufgeteilt, so dass dieser Wiederbelebungsversuch der traditionsreichen Firma keine lange Überlebenschance hatte.
Hier ein Abriss zur Firmengeschichte:
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Im Jahr 1786 gründete Friedrich Wilhelm Wolfram die Eisen- und Eisenwarenhandlung Firma F.W. Wolfram. Das Geschäft bestand in dem seit 1700 im Besitz der Familie Wolfram befindlichen Haus in der Töpferstraße 26. In einer amtlichen Erhebung über die wirtschaftlichen Verhältnisse Nordhausens wurde die Eisenwarenhandlung, die hauptsächlich ihre Waren in die sächsischen und schwarzburgischen Fürstentümer absetzte, als vorzüglich und bedeutend genannt. Im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die Firma zu einer der größten und führenden dieser Branche in Deutschland. 1824 übernahm der Schwiegersohn Leberecht Gebhardt das Geschäft. 1852 übergab er es an seinen Schwiegersohn Friedrich Kranz. Unter seiner Führung und den beiden Teilhabern, Schwiegersohn Richard Wiese und Sohn Julius Kranz, nahm das Unternehmen einen stetigen Aufstieg. Ab 1906 leiteten die Söhne Erich Kranz und Friedrich Wiese die Firma. Infolge steigender Umsätze und der Notwendigkeit der Schaffung entsprechend umfangreicher Lagerkapazität machte sich im Laufe der Jahre die Verlegung des Großhandelsbetriebes nach dem Bahngelände an der Steinstraße erforderlich. Hier expandierte die Firma 1923.
Es wurden moderne Anlagen mit Gleisanschluss geschaffen und ein den Erfordernissen entsprechendes Bürogebäude errichtet. Das gesamte Gelände hatte eine Größe von 22.000 m². 1938 beschäftigte die Firma 160 Arbeitskräfte, davon waren 55-60 Stammkräfte und 8-10 Lehrlinge. Das Unternehmen versorgte von Nordhausen aus den gesamten Raum, lieferte aber auch in alle Teile Deutschlands, von Celle bis nach Nordbayern, von Lippstadt und Paderborn im Westen bis zur Lausitzer Grenze sowie ins Erzgebirge und Vogtland. Die Bombenangriffe im April 1945 brachten der Firma großen Schaden, das Geschäft in der Töpferstraße war zerstört. Nach Kriegsende wurde in der Ernst-Thälmann-Straße (ehem. Steinstraße, heutige Bochumer Straße) ein Flachbau errichtet, welcher bis in die jüngste Vergangenheit als Verkaufsfläche diente, wo man rund 8.000 Artikel vertrieb. 1950 übernahm Marianne Evers (geb. Wiese), die Witwe des Herrn Gustav Evers, die Großhandlung. Die politische Wende brachte für die Firma einen Neuanfang. Seit 1990 führte in der 9. Generation der Enkel der Familie, Thomas Evers, den Fachhandel für Baubeschläge und Werkstatteinrichtungen. Das gesamte Firmengelände in der Ernst-Thälmann-Straße wurde 1993 verkauft und ein neues Areal im Terrain der Thüringer Motorenwerke GmbH erworben. Im ehemaligen Klubhaus der IFA entstand ein Großlager mit Verkauf. Das Warensortiment umfasste ca. 26.000 Artikel. In der Töpferstraße eröffnete die Firma ein Haushaltswarengeschäft. Bei den Billigangeboten der Baumärkte vor den Toren der Stadt – für Kunden aus dem Umfeld von Nordhausen gut und schnell zu erreichen – konnte das Traditionsunternehmen preislich nicht mithalten. Auch im Großhandelsbereich war der Markt gesättigt. Die Folge war die Konkursanmeldung am 13. Mai 1998. Nach einer 212jährigen Tradition kam Ende des gleichen Jahres für das Großhandelsunternehmen das endgültige Aus.
Das repräsentative Firmengebäude steht noch und beherbergt heute ein Ingenieurbüro. Hier das ehemalige Firmengelände auf einem alten Briefkopf:
Anschluss D
Dieser gehörte der Firma Rudolph Schulze & Co., die mit Baumaterialien handelte. Konkret handelte es sich um eine Dampfziegelei, die Ziegelsteine, Dachziegel und Falzziegel herstellte. Bis zum zweiten WK hatten sich von den ehemals um die 20 Ziegeleien rund um Nordhausen nur noch vier halten können. Rud. Schulze war eine davon. Die "Nordhäuser Ziegelwerke Rudolf Schulze & Co." befanden sich nicht weit entfernt an der Straße "Am Holungsbügel". Heute führt allerdings "Hinter der Steinmühle" zum ehemaligen Ziegeleigelände. 1965 wurde das Ziegelwerk aufgegeben und mit einer Porenanhydritproduktion weiter bis 1990 geführt.
Hier eine Rechnung mit Briefkopf von 1909:
Anschluss E
Dieser gehörte der Mineralölfirma OSSAG (ab 1925 Rhenania-Ossag Mineralölwerke AG) OSSAG war eine deutsche Firma, Rhenania (Endisch schreibt fälschlich Rhenanio) wurde mit Hilfe der Niederländischen Petroleum-Gesellschaft gegründet (heute Dutch Shell). Rhenania-Ossag wurde nach dem Krieg zur Deutschen Shell AG. Die Rhenania-Ossag gehörte im Deutschen Reich zu den Großen Fünf, also den Mineralölfirmen mit dem größten Tankstellen-Netz. Es gibt diverse Wikipedia-Artikel dazu:https://de.wikipedia.org/wiki/Ossag und https://de.wikipedia.org/wiki/Rhenania-Ossag zum Beispiel und alles, was dort noch weiterführend verlinkt ist.
Interessanterweise ist ausgerechnet in Nordhausen ein damals hochmoderner "Tankbahnhof der Rhenania-Ossag im Bauhaus-Stil/Neues Bauen an der Ecke Bochumer Str./Freiherr-von-Stein-Str. erhalten. In unmittelbarer Nähe zum Bahnhof und sogar saniert. Foto im Wikipedia-Artikel.
OSSAG war für besonders hochwertige Schmierstoffe bekannt.
Bei Anschluss F beginnen jetzt aber die Fragen. Im Röper/Zieglgänsberger ist er zwar eingezeichnet, aber ohne Firmenzuordnung. Auf einem DDR-Luftbild von 1980 ist er noch vorhanden. Zu welcher Firma gehörte er. Auf dem Google-Earth-Luftbild oben habe ich in Türkis die Flurstücksgrenzen eingezeichnet. Der Anschluss führte also auf ein eigenes Flurstück und nicht auf das der Eisenhandlung F. A. Wolfram.
Was dort ursprünglich für eine Firma saß - keine Ahnung. Vielleicht weiß ja einer von euch mehr darüber?
Anschluss G
Hier ist wieder recht klar, was das für einer war. Bei Röper/Zieglgänsberger heißt er Hetzel. Das ist auch richtig so, denn die Firma Hetzel aus Kehl hat im Zuge der Arisierungen im Dritten Reich die Firma von Max Goldschmidt jun. übernommen, wie man im Nordhausen-Wiki nachlesen kann. Goldschmidt war Jude. Es wurde von ihm enteignet das Haus Johannistreppe 1
. Das gibts heute noch. Und außerdem wurde enteignet das Grundstück Hesseröder Straße 41, dass die Fima Hetzel, ein Transportunternehmen, erwarb. Das ist das Grundstück mit Anschluss G. Goldschmidt betrieb einen Eisenhandel. Er selbst ist 1936 nach Palästina ausgewandert. Seine Frau Elisabeth 1937. Seine Stiefmutter Berta ist im September 1942 ins KZ Theresienstadt deportiert worden und starb dort schon zehn Tage später im Alter von 73 Jahren. Die Familie Goldschmidt war in Nordhausen recht verzweigt.
Zum Anschluss selber ist nur merkwürdig, dass Steimecke schreibt: "Drei Ladegleise, welche mittels Drehscheiben verbunden waren." Wo da Platz für mehrere Drehscheiben gewesen sein soll, weiß ich nicht. Eventuell verwechselt er da was mit dem Schachtbau? Oder Teile der späteren Schachtbau-Anschlüsse gehörten zuerst zu Max Goldschmidt jun.?
Soweit zu den regelspurigen Anschlussgleisen. Bestimmt finden sich noch Forenteilnehmer, die Ergänzungen dazu haben.