Wilsdruffer Netz im DEFA Film

  • Hallo Bimmelbahner,

    mir ist vor kurzem bei YouTube ein DEFA Film von der Suchmaschine vorgeschlagen worden. Der Film heißt: "Männer ohne Bart" und ist von 1971. Der Film ist insgesamt nicht das beste Werk aus Babelsberg, beinhaltet aber einige schöne Szenen mit der Lok 99 1684, einem unbekannten Einheitsgepäckwagen und 3 Einheitspersonenwagen (ehem. C4: 970-447, 970-459 und 970-453) auf dem Wilsdruffer Netz. Vielleicht hat jemand von euch Lust in der dunkler werdenden Jahreszeit sich das mal anzusehen. Insgesamt sind es 3 Szenen ab Minute 16, ab Minute 59 und zum Schluß ab Minute 1:21. Besonders interessant fand ich die Aufnahmen im inneren der Wagen.

    Vielleicht ist das auch schon lange bekannt. Ich habe aber in der Suchfunktion vorher nichts gefunden.

    Gruß Lutz

  • Hallo Lutz,

    interessanter Fund, auch wenn der Film den Eindruck erweckt, Drogen wären in der DDR schon legal gewesen. Erkennt jemand, um welchen Streckenabschnitt und insbesondere welchen Bahnhof es sich bei dem Drehort handelt?

    Viele Grüße

    Toralf

  • Hallo Toralf,

    ich denke, es handelt sich um den Bahnhof Oberschaar an der Strecke Klingenberg-Colmnitz - Oberdittmannsdorf.

    Inzwischen hatte der Zug den Haltepunkt Oberschaar erreicht und wenn ich mich richtig erinnere, erfolgte hier durch den Zugführer auch eine Zuglaufmeldung.

    Viele Grüße von Johannes

  • Moin Männer,

    Ich habe es getan! Man muss es als zeitgenössisches Filmdokument hinnehmen, es gab wirklich bessere DEFA Kracher. ABER ein wenig Schmalspurgeschichte beinhaltend, bekommt es doch ganz anderen Wert :saint:

    Siehe ein rotes Buch Seite 12 Links oben .... Betreff: KO Linie ....

    Ich würde sagen, dass Foto entstammt den Dreharbeite ? Also wenn das nicht die Szene aus dem Film ist, in leicht anderer Situationsstellung des jungen Mannes, würde ich sagen - 100 Punkte . Aufmerksames Erinnerungsvermögen :!: Dieser Filmausschnitt, ich war schneller am Buchregal zum kontrollieren, als ich es gedacht hatte ^^

    Im Film: Szene : 1:01:34 ---- Der junge Mann steigt augenblicklich vom Zug also von der Lok ab auf den Bahnsteig ...... Man beachte das Stationsschild und die junge Frau im rechten Bildeck und vergleiche mit dem Film.... Ich darf das Bild aus dem Buch hier nicht zeigen, aber wer die Gelegenheit hat, darf es gerne nachschlagen !

    Gruß - Danke für den Filmtipp :thumbup:

    Gruß Benny

  • Sehr interessant - vielen Dank für den Film-Tipp. Ich habe mir gestern Abend auch mal rein die Schmalspurbahnszenen in dem Film angeschaut. Dazu schreibe ich jetzt bissel was. Achtung, es wird gehörig Offtopic und erst zum Schluss des Textes geht es wieder um die Eisenbahn. Zuvor geht es um historische Filmtechnik sowie um den Regisseur des Filmes, Rainer Simon. Wen das nicht interessiert, am besten JETZT mit dem Lesen dieses Posts hier aufhören. ;)

    Beim Anschauen der Schmalspurbahnszenen habe ich mir zuerst so gedacht: Was für "Psycho-Kram" ist das denn, mit diesem Orchester auf dem Dach, oder dem Cowboy/Gangster, oder dem "Kosmonauten" zwischen den zwei Wagenbühnen. Naja, typisch "möchtegern-intellektuelle Künstlertypen" halt, die so was drehen, und, ja, zu Beginn der 1970er Jahre waren solche Gestaltungselemente in mehreren DEFA-Filmen zentraler Bestandteil der Regiearbeit. Siehe auch "Die Legende von Paul und Paula" und weitere. Nun ja, in dem Film "Männer ohne Bärte" sollen diese Inszenierungen wohl die schwankende und verworrene, unstetige und von verschiedenen Fantasien geprägte Gedanken- und Gefühlswelt eines spätpubertären Teenagers bzw. eines noch unreifen jungen Erwachsenen symbolisieren und darstellen. So weit meine ersten spontanen und intuitiven Gedanken beim Ansehen der Szenen.

    Doch dann schaute ich auf Wikipedia nach ein paar näheren Hintergründen dieses Films "Männer ohne Bärte". Und stellte fest: Der ist ja von DEFA-Regisseur Rainer Simon. Da wurde es erst richtig interessant.

    Denn mit Rainer Simon - er ist inzwischen über 80 Jahre alt - konnte ich letztes Jahr, im Herbst 2022, einmal eine knappe halbe Stunde persönlich sprechen und erzählen - ihn bis dahin gar nicht kennend und auch bis gestern nicht wissend, dass er diesen Film "Männer ohne Bärte" gemacht hat.

    Hier gibt es den - wie ich finde - ganz interessanten Hintergrund mit folgendem (ein mini bisschen weiterem) Eisenbahn-Bezug: Der Regisseur Rainer Simon ist ja 1941 in Hainichen geboren und gesprochen hatte ich ihn letztes Jahr im Kino in Frankenberg nahe Chemnitz. Das 1937 erbaute Frankenberger Kino ist als reguläres Kino seit 2001 geschlossen, heutzutage ist es seit einigen Jahren als so genanntes "Liebhaberkino" auf Basis eines uneigennützigen und ehrenamtlichen Betriebes auf Vereinsbasis und mit Unterstützung der Stadt Frankenberg wieder in Betrieb. Offizieller Name dieses Kinos ist Welttheater Frankenberg. Es ist die kinotechnische Kindheitsstätte von Regisseur Rainer Simon.

    Der betreibende Verein veranstaltet im Welttheater Frankenberg im Jahr zirka zwischen 5 und 10 Kino-Tage, die immer unter einem bestimmten Motto stehen. Das Besondere daran ist, dass das Kino im Inneren - ähnlich einem Museumsbahnhof - nicht heutigen Standards entspricht, sondern noch einen originalen, historischen Zuschauerraum hat und die Filmprojektion nicht digital erfolgt, sondern klassisch analog mit 35-mm-Filmprojektoren, und das ganze sogar nicht einmal mit einer modernen Telleranlage aus den 1990er oder 2000er Jahren, sondern in althergebrachter, aktweiser Überblendprojektion mittels zweier 1937 in Dresden hergestellter Filmprojektoren vom Typ Ernemann VII.

    Eine 35-mm-Filmrolle fürs Kino (ein Akt) umfasst ja immer so rund 15 - 20 Minuten Film, danach wird beim Überblendbetrieb auf die nächste Rolle mit dem zweiten Projektor gewechselt und dann rund 20 Minuten später wieder zurück auf den ersten Projektor. Der Filmvorführer hat in seinem Bildwerferraum zwischendurch mit dem Wechseln der Filmrollen und deren Rückspulen usw. immer ordentlich Arbeit. Für den synchronen Übergang der Filmrollen sind auf der Filmkopie Überblendzeichen eingearbeitet, die in Form kleiner Kreise und Vierecke immer kurz vor dem Spulenwechsel rechts oben in der Ecke für jeweils 1/3 Sekunde (8 Filmbilder lang) erscheinen. So war es bis in die 1970er/1980er Jahre überall in den Kinos Standard, bis "im Westen" die Telleranlagen aufkamen, wo die einzelnen Filmakte auf einem großen Filmteller hintereinander gekoppelt werden und ein bis zu dreistündiger Film mit nur einem Projektor durchgehend spielbar ist. In der DDR blieb es bis 1990 beim Überblendbetrieb, hier hielten im wiedervereinigten Deutschland die Telleranlagen dann ab den frühen 1990er Jahren Einzug. In den Jahren 2006 bis 2013 vollzog sich die Abschaffung der echten Filmprojektion und die Umstellung auf Digitalprojektoren.

    Im Welttheater Frankenberg wird die Tradition der klassischen Filmprojektion mit dem althergebrachten Überblendbetrieb fortgeführt, wie gesagt natürlich nicht mehr im täglichen Betrieb, sondern ähnlich wie Dampfloksonderfahrten auf der Regelspur, eben so zwischen 5 und 10 mal pro Jahr. Die Kinotage im "Liebhaberkino" stehen immer unter bestimmten Motti. Dieses Jahr im September war es z.B. der "Olsenbande-Tag".

    Doch letztes Jahr im Herbst war es ein "Rainer Simon"-Tag mit der persönlichen Anwesenheit des Regisseurs. Und das war sehr interessant. Er erzählte, wie er als Kind und Jugendlicher in den 1950er Jahren einmal die Woche mit dem (Regelspur)-Zug von Hainichen nach Frankenberg pendelte, um immer die neuesten Filme anzuschauen. Er liebte das Kino und fasste als Teenager genau in diesem Kino, im Welttheater Frankenberg, den Entschluss, alles daran zu setzen, unbedingt Regisseur werden zu wollen. Und tatsächlich gelang es ihm: Er studierte von 1961 bis 1965 an der Hochschule für Film und Fernsehen Potsdam-Babelsberg Regie.

    Im Herbst 2022 wurden drei Filme von Rainer Simon in Frankenberg gezeigt: Erstens der 28-minütige, 1966 gedrehte und 1967 uraufgeführte populärwissenschaftliche Film "Freunde vom Werbellinsee" über das internationale Ferienlager „Pionierrepublik Wilhelm Pieck“. Zweitens Rainer Simons Debüt eines abendfüllenden Spielfilms "Wie heiratet man einen König?" (gedreht 1968, uraufgeführt 1969) sowie drittens der besondere Film "Fernes Land Pa-isch", der 1993/94 gedreht wurde, in den Jahren nach der Wende aber zuerst keinen Filmverleih fand, der ihn vertreiben wollte, weil die in dem Film erzählte, besondere Story nicht den damals üblichen, kommerziell fürs Kino interessierenden Blockbuster-Mustern entsprach wie nun "Rambo Teil XXXXXIIIIIII" oder sonst wie was. Im Jahr 2000 kam "Fernes Land Pa-isch" dann doch kurzzeitig ins Kino, wurde aber nicht großartig bekannt.

    Im Herbst 2022 konnte ich unter Anwesenheit des Regisseurs Rainer Simon "Fernes Land Pa-isch" einmal auf der großen Leinwand sehen - an einem ziemlichen "Originalschauplatz", in Rainer Simons Kindheits- und Jugendkino, dem Welttheater Frankenberg.

    Dieser Film wiederum enthält etliche Eisenbahnszenen, die Rainer Simon an seiner "Heimatbahn", der Nebenbahn Roßwein - Hainichen - Frankenberg - Niederwiesa gedreht hat. Das Ganze geschah wie gesagt 1993 und 1994 und zeigt den Nachwende-Bahnbetrieb in Sachsen in der damals üblichen Erscheinungsform: Die DR-V 100 noch im Planbetrieb, in jenen Jahren benummert als BR 202, hinten dran hingen noch ganz alltäglich zwei bis drei Bghw-"Schachteln". Gedreht mit 35-mm-Kinofilm (einer der letzten in Agfacolor, später gab es nur noch Kodak Vision und Fuji Eterna Filme für die Kinofilmproduktion), bringen diese Aufnahmen natürlich eine ganz andere Bildqualität rüber als das, was damals halt so in der Freizeit auf VHS-C, S-VHS-C, Video8 oder Hi8 mit analogem Amateur-Video gedreht wurde.

    Ich fragte Rainer Simon bei der Gelegenheit, ob es etwas zu bedeuten hätte, dass er so viele Eisenbahnszenen in seinen Film eingebaut hat. Da antwortete er, dass die Strecke Hainichen - Frankenberg ja eben der Ort seiner Kindheit und Jugend sei und ihm diese Eisenbahnlinie sehr an Herz gewachsen sein und dass er sich deshalb dazu entschied, die nötigen Bahnszenen in den frühen Neunzigern dort zu drehen. (Es geht in dem Film um einen Jungen aus schlimmen sozialen Verhältnissen, der von zu Hause abhaut und mit der Bahn schwarz nach Afrika [nach "Pa-isch", ein Fantasieland] fahren will.)

    Wenn ich vor einem Jahr schon geahnt hätte, dass Rainer Simon nicht nur zu Beginn der 1990er Jahre auf der Regelspurstrecke Roßwein - Hainichen - Frankenberg - Niederwiesa gedreht hat, sondern reichlich 20 Jahre zuvor auch schon auf der Schmalspur zwischen Klingenberg-Colmnitz und Oberdittmannsdorf, hätte ich ihn doch glatt auch zu den dortigen Dreh-Hintergründen befragt. Offenbar scheint der Regisseur durchaus einen näheren Bezug zum Thema Eisenbahn zu haben, dass er dieses Motiv mehrfach zum Inhalt seiner Filme gemacht hat. Leider weiß ich vom Film "Männer ohne Bärte" aber erst seit gestern, so dass ich ihn dazu letztes Jahr nicht interviewen konnte - auf jeden Fall aber Danke für den Tipp: Wieder etwas Interessantes hinzugelernt.

    VG HD

  • Hallo in die Runde,

    ich staune, dass der Film so Vielen bisher unbekannt war.

    Zumindest die aufmerksamen Leser des EK-Buches "Das Bw Wilsdruff" hatten diese Informationen schon länger. Im Buch wird sowohl ein Bild von den Dreharbeiten gezeigt, als auch der Zeitpunktder Aufnahmen, Handlung, Ort und die Namen des Lokpersonals kurz beschrieben.

    Da die Handlung des Filmes im Spreewald spielt aber die Spreewaldbahn nicht mehr zur Verfügung stand, wurden die Szenen kurzerhand im Wilsdruffer Netz gedreht. Der Film ist anspruchsvoll, widmet sich der Kinderpsyche eines "Träumers" aber auch nur die reinen Eisenbahn-Szenen sind sehr sehenswert. Der Film ist auf DVD in der Rainer Simon Filmreihe unter dem Titel "Fernes Land Pa-Isch - Rainer Simon-Filmreihe (+ Bonusfilm: Männer ohne Bart)

    erhältlich.

    Gruß Marko

  • Hallo Marko,

    auch mir war dieses in Eurem Buch auf Seite 159 abgedruckte Foto nicht mehr vor Augen – daher besten Dank für Deinen Hinweis.

    Spannend, dass die Filmaufnahmen Anfang März 1971 entstanden – aber der Film dann im Mai 1971 schon im Kino war ...!

    Mich hat gefreut, dass in dem Film sogar einer der GGw-Kästen von der LPG Oberschaar neben dem Bahndamm kurz zu sehen ist – mit Gänsen hinter der geöffneten Schiebetür. Diese GGw-Kästen sind ja fast alle erhalten – in Zittau Vorstadt, Lohsdorf und einer neben dem Wasserhaus von Niederschöna.

    Ein schönes Zeitdokument!

    Mit vielen Grüßen

    André