Der Reibwert auf der Schiene ist stark von den Umgebungsbedingungen abhängig, noch viel stärker als dies auf der Straße der Fall ist. So kann unter klinisch reinen Laborbedingungnen im Vakuum ein Reibwert von bis zu 0,8 erreicht werden, also 80 % des Reibungsgewichts können in Zugkraft umgesetzt werden. Unter Alltagsbedingungen ist das natürlich utopisch, da die Schiene immer mehr oder weniger verschmutzt ist und sich dadurch die Mikroverzahnung an der Berührungsstelle Rad/Schiene verschlechtert.
In der Praxis heisst dass, unter sehr sauberen Umweltbedingungen sind Reibwerte von 0,5 oder etwas mehr in der Realität erreichbar. Das aber nur wenige Tage im Jahr, da man dafür einen sehr sauberen, nahezu staubfreien und trockenen Schienenkopf benötigt. Da reichen dann schon mehrere Stunden Trockenheit und eine kleine Staubschicht auf den Schienenköpfen und der Reibwert sinkt auf Werte von 0,33 - 0,4. Diese Reibwerte werden bei modernen Loks in der Regel zur Ermittlung der Maximalzugkraft herangezogen, da sie bei trockenen Alltagsbedingungen zuverlässig erreichbar sind. Bei Feuchtigkeit sind noch Werte von 0,15 - 0,25 erreichbar, je nachdem, wie stark sich da ein Schmierfilm bildet. Die pneumatischen (Druckluft-)Bremssysteme sind daher auf eine Reibwertausnutzung von max 0,15 ausgelegt, bei Voll-, Schnell- oder Zwangsbremsung. Damit ist sichergestellt, daß auch bei normal feuchten Schienen die Räder bei maximaler Bremskraft nicht blockieren.
Ausnahmesituation und richtig haarig wird es bei diesem typischen Herbstwetter, wenn die glitschigen, feuchten Blätter ihren Saft auf den Schienenköpfen hinterlassen. Wenn da die richtige Mischung an Blättersaft und Feuchtigkeit zusammenkommt, erzeugt das einen extremen Schmierfilm, der den Reibwert zeitweise auf Werte bis zu 0,05 oder noch weniger zusammensacken lassen kann. Da hilft dann auch der Sand nur bedingt weiter und selbst leichte Züge belieben bereits an kleiner Steigung liegen. Zum Glück gibts diese Extrembedingungen nur stundenweise an wenigen Herbsttagen im Jahr. Aber dann hat man verloren, gerade mit der Dampflok. Denn selbst so eine moderne Neubauellok mit 80 - 90 t Reibungsmasse, Einzelachsteuerung und modernster Traktionskontrolle kommt dann ohne Sand nur noch auf Zugkräfte von 30 - 40 kN. Mit einer Dampflok braucht man da gleich garnicht losfahren!