Glück Auf,
Nach so viel schwerer betrieblich-sicherungstechnischer Kost von mir, gibt es nun ebenso schwere maschinenwirtschaftliche Kost von meiner (alten) Heimatstrecke Wilkau-Haßlau - Carlsfeld (WCd) 😉
Der am 1. Februar 1926 in Folge der schrittweisen Abkehr von den alten sächsischen Verwaltungsstrukturen gegründete Lokomotivbahnhof (Lbf) Kirchberg spielte als Heimatdienststelle von Schmalspurlokomotiven im Westerzgebirge eine besondere Rolle. Den Begriff Lokomotivbahnhof führte die Deutsche Reichsbahn um 1922 als Bezeichnung für eine Dienststelle im Betriebsmaschinendienst ein. Teilweise fand man in den Unterlagen jedoch auch nach 1922 weiterhin die alte Bezeichnung Lokomotivstation vor. Gemäß Definition in der DV 907 Verzeichnis der Maschinenämter, Bahnbetriebswerke, Bahnbetriebswagenwerke, Lokomotivbahnhöfe, Bahnhofsschlossereien und Hilfszüge der Ausgaben 1927, 1936 und 1939 waren Lbf'e Dienststellen, auf denen Lokomotiven beheimatet sind und bei denen die Aufsicht durch den Bahnhofsleiter wahrgenommen wird. In der sich immer mehr durchsetzenden "preußischen Theorie" war ein Lbf im Regelfall einem Bahnbetriebswerk (Bw) unterstellt. Die findigen Sachsen wichen in der Anfangszeit der Reichsbahn natürlich davon ab, denn zwischen dem 1. Februar 1926 und dem 29. Februar 1936 (andere Quellen: 31. Dezember 1934) führte Kirchberg die Bezeichnung Selbstständiger Lokomotivbahnhof - ein Verwaltungskonstrukt, welches es nach aktuellem Kenntnisstand nur im Bezirk der Reichsbahndirektion Dresden gab.
An dieser Stelle gleich der Hinweis, daß der in mancher Literatur sowie auf diversen Lokstatistik-Internetseiten für diesen Zeitraum verwendete Begriff "Bw Kirchberg" unzutreffend ist. Das Bahnbetriebswerk (Bw) Kirchberg wurde erst am 1. März (andere Quellen: 1. April) 1949 gegründet und bestand bis 31. Dezember 1966. Komplett anderes Thema.
Die genaue Definition eines Selbstständigen Lokomotivbahnhofs ist derzeit nicht zweifelsfrei geklärt. Fest steht, daß derartige Dienststellen einen eigenen Personal- und Fahrzeugbestand besaßen. In Kirchberg wechselte das maschinentechnische Personal jedoch erst am 15. Mai 1927 zum Lbf, im Zusammenhang mit der Auflösung der Bahnverwalterei Kirchberg.
Vorgesetzte Dienststelle war das jeweilige Maschinenamt (MA), im Fall Kirchberg das MA Zwickau. Ferner konnten einem Selbstständigen Lokomotivbahnhof weitere, kleinere Lokbahnhöfe unterstellt sein. Beim Lbf Kirchberg waren das:
- Lbf Schönheide mit Außenstelle Carlsfeld
- Lbf Ortmannsdorf
- Lbf Oberrittersgrün
- Lbf Oberwiesenthal (ab 1929)
Schaut man auf die Übersichtskarte der Maschinenämter der RBD Dresden im Jahre 1934, dann kann man schlußfolgern, daß die DRG mit ziemlicher Sicherheit den Betriebsmaschinendienst auf den Schmalspurbahnen im gelb gekennzeichneten Bezirk des MA Zwickau einheitlich verwalten wollte:
Die Unterstellung des Lbf Oberrittersgrün war so bisher nicht bekannt, geht aber aus dem ausgewerteten Betriebsbuch von 99 608 hervor (Danke Helmut/86_018😉), die in den 1930er Jahren zwischen Grünstädtel und Oberrittersgrün fuhr. Im Abschnitt Standorte und Leistungen der Lokomotive ist das eingestempelte "Oberrittersgrün" zwischen dem 27. November 1931 und dem 26. August 1935 handschriftlich mit "Kirchberg" ergänzt. Weiterhin ist darin eine Kostenmitteilung des RAW Chemnitz für die Schadgruppen F4 und K4 (Fahrgestell und Kessel) vom 7. Juli 1933 enthalten, die den Posteingangsstempel des Bahnhofs Kirchberg trägt, obwohl die Mitteilung an den Bf Grünstädtel adressiert war.
Dem aufmerksamen Leser wird aufgefallen sein, daß es noch eine vierte schmalspurige Nebenbahn im Bereich des MA Zwickau gab, die Linie Mosel - Ortmannsdorf. Kirchberg und Ortmannsdorf standen von Anbeginn im gegenseitigen Lokaustausch, so daß man auch hier von einer Zuordnung des Lbf Ortmannsdorf zum Selbstständigen Lbf Kirchberg ausgehen kann. Mir ist jedoch bisher kein schriftlicher Beleg - vergleichbar mit Betriebsbucheinträgen wie zum Beispiel bei Oberrittersgrün - bekannt.
Warum nun gerade Kirchberg als Verwaltungssitz ausgewählt wurde, wird mit seiner Größe, Expertise und nicht zuletzt auch wegen der geografischen Nähe zu Zwickau zu tun gehabt haben - kurze Wege!
Durch die Zuordnung des Lbf Oberwiesenthal, die bis zum 29. Februar 1936 bestanden haben soll, waren zwischen Januar 1929 und Februar 1936 insgesamt zehn Einheitslokomotiven buchmäßig in Kirchberg beheimatet, kamen jedoch - nach aktuellem Stand - ausschließlich von Oberwiesenthal aus zum Einsatz:
99 731, 99 732, 99 733, 99 734, 99 735, 99 736, 99 737, 99 745, 99 746 und 99 750.
Die genauen Beheimatungszeiträume können der Fachliteratur entnommen werden. Unter ehemaligen Kirchberger Eisenbahnern hält sich das über die Jahrzehnte weitergegebene Gerücht, es wäre tatsächlich mal eine Einheitslok "leibhaftig" in Kirchberg gewesen. Scheffler/Wagner haben das 1993 sogar in ihrer Broschüre über die "VII K" (Bufe-Verlag) zu Papier gebracht und konkret 99 746 beim Namen genannt. Sie soll vom 11. Juli 1934 bis 30. Juli 1935 in Kirchberg gewesen sein, jedoch ohne Einsatz. Ebel/Seiler haben das in ihrem recht umfassenden Buch über die Einheits- und Neubauloks (EK-Verlag) zu widerlegen versucht, da im fraglichen Zeitraum Laufleistungen nachgewiesen sind und es wohl auch eine "Sichtmeldung" von der CW-Linie gab. Wer letztendlich Recht hat, muß offen bleiben.
Auch wenn die Einheitslok "physisch" in Oberwiesenthal zu Hause waren, wurden ihre Betriebsbücher meist in Kirchberg verwahrt und geführt. Daher ist bei den Lok auch überwiegend "Kirchberg Sa." als Stationierungsort eingestempelt und hat in späterer Zeit für das ein oder andere Stirnrunzeln bei den "Betriebsbuch-Auswertern" gesorgt. Hier kamen dann offenbar ganz pragmatisch die "kurzen Wege" ins Spiel, da das MA Zwickau recht häufig in den Betriebsbüchern mit Unterschriften und Stempeln als Sichtvermerke Präsenz zeigte.
Interessant zu wissen wäre, ob tatsächlich Einheitslok mit angeschraubtem Lbf-Heimatschild "Kirchberg" unterwegs waren. Gibt es bildliche Beweise dafür? Fotografisch belegt ist das Heimatschild "Oberrittersgrün", das 99 582 im Einsatz auf der WCd noch in den 1960er Jahren neben dem aufgemalten (!) "Bw Kirchberg" trug. Wenn schon im kleinen Oberrittersgrün so viel Lokalpatriotismus herrschte, wie soll das erst in Oberwiesenthal gewesen sein - dem man sowieso nachsagte, man wäre lieber selbst für seine Lokomotiven zuständig gewesen... .
Mit Auflösung des Selbstständigen Lokomotivbahnhofs Kirchberg am 29. Februar 1936 (oder eben bereits am 31. Dezember 1934) unterstand Kirchberg - wie auch alle anderen Lbf'e im Bereich des MA Zwickau - gemäß "preußischer Tradition" nun regulär als "einfacher" Lbf dem Bw Zwickau.
Ergänzungen sind gern willkommen, insbesondere zum Thema 99 746 und der Heimatschild-Problematik 😅
Ein herzliches Dankeschön an Helmut für seine Recherchen!
Beste Grüße
Mike
Eisenbahntechnische Schauanlage Neudorf