Hallo liebe Freunde der Eisenbahn,
der Name Halberstadt verbindet sich für mich seit Jahren mit einigen schönen Tagen mit und um die Dampflok. Kommt also mit auf meine erste Reise ins nördliche Harzvorland. Ich habe nicht die ultimative Bildersammlung zum Thema, aber eine hoffentlich lesenswerte Geschichte und für manchen Leser eine Anregung, sich selbst zu erinnern.
Wir schreiben 1987...
und ich altes Trottelgesicht...
Ach nein, das war ja etwas anderes.
Ich war 17...
Ach nee, beginnen wir anders.
Ende August 1987 lernte ich während einer Sonderfahrt mit dem Rasenden Roland den Rostocker Eisenbahnfreund Ulrich kennen. Wir verabredeten uns bald zu einem Kurzbesuch in Rostock und unternahmen im September mit dem ebenfalls aus Rostock stammenden Ingo einen ersten gemeinsamen Fotoausflug nach Angermünde.
Das waren meine ersten größeren Fotoaktivitäten in Sachen Dampf auf 1435 mm. Aber es wurde allerhöchste Zeit. Es war ja allgemein bekannt, dass ein Bw nach dem anderen seine Rußkübel in die Ecke oder den Heizstand stellte. Viel war im Herbst 1987 nicht mehr zu erleben, schon gar nicht für uns Norddeutsche.
Ich fotografierte damals mit einer alten Werra aus den 50ern, die aus der Gerätesammlung meines Vaters stammte und lange Zeit gute Dienste geleistet hatte. http://www.altissa-museum.de/anderesammlung…2be1393513.html
Wechselobjektive oder sonstiges Zubehör, Fehlanzeige. Sowas gab es für das Gerät nicht. Ein altes Taschenstativ und einen Drahtauslöser konnte mein Vater noch beisteuern. Schließlich gab es zum Geburtstag noch einen russischen Belichtungsmesser "Leningrad".
Die Werra hatte ihre besten Tage hinter sich. Der Verschluss wurde immer lahmer, die echten Belichtungszeiten immer länger. Die mit dem Belichtungsmesser gemessenen Werte konnte ich nur noch ungefähr anwenden und musste immer umrechnen, was aber zunehmend ungenauer wurde.
Im Herbst 1987 zeigte sich eine neue Marotte. Irgendetwas zerkratzte in der Kamera die Filme, so dass sich auf den Vergrößerungen zunehmend mehr Telegrafendrähte übelster Art zeigten.
Trotz dieser technischen Probleme verabredeten wir uns für das erste Oktoberwochenende 1987 zu einer Reise nach Halberstadt.
Ich freu mich...
Nach der Ankunft mit dem Personenzug in Rostock traf ich mich mit Ulrich und wir fuhren zunächst zu Ingo, wo wir noch einige Stunden Zeit hatten und uns mit Fotos und Erzählungen die Zeit vertrieben.
Gegen 22.30 Uhr ging es dann mit dem D-Zug von Rostock zunächst bis Magdeburg. Ich hatte damals noch nicht trainiert, überall und immer nach Bedarf schlafen zu können. So beobachtete ich aus den Fenstern das nächtliche Treiben entlang der Bahngleise, sah die Nacht über Schwerin und Wittenberge und freute mich auf die nächsten Stunden.
Gegen 2 Uhr kamen wir in Magdeburg Hbf an, wo keiner von uns je zuvor war. Auf einem Bahnsteig fanden wir eine geöffnete Mitropa-Gaststätte. Prima, eine heiße Bockwurst und ein dampfender Kaffee sind nicht zu verachten.
Der nächtliche Bahnhof Magdeburg Hbf. war nicht sonderlich spannend. Uns fiel aber die ständige Präsenz der Transportpolizei auf. Mehrere Streifen drehten auch während der Nacht dort ihre Runden. Aber wir wurden in Ruhe gelassen, noch...
Es wurde Zeit, gegen 4.00 Uhr sollte der erste Personenzug nach Halberstadt abfahren. Also, den Ober gerufen und die Zeche bezahlt.
Ich hatte es nicht passend und wollte auch einige Groschen "Staub" geben. Das Gedeck aus Bockwurst und Kaffee sollte so ca. 3 Mark kosten. Also den braunen Zehner über den Tisch gereicht...
"Ich freu mich." sagte der Ober, drehte sich um und verschwand. So viel Trinkgeld wollte ich nun nicht geben. Mit 135 Mark Lehrlingsgeld im Monat konnte ich eine mir so teuere Wurst nun wirklich nicht leisten. Also hinterher und den gierigen Kellner gestellt. Mürrisch ließ er den Restbetrag auf dem Tresen liegen und trollte sich. Nun hatte es also kein Trinkgeld gegeben.
Zum ersten Mal zog mich nun eine 119 des Bw Halberstadt durch die nächtliche Börde. Ich interessierte mich aber nicht besonders für das U-Boot. Die starke Abgasfahne verpestete aber unseren Wagen.
In Oschersleben riskierten wir einen Blick in Fahrtrichtung links aus dem Fenster. In der Einsatzstelle schmauchten zwei 50.35 vor sich hin. Die Einsatzstelle setzte noch immer drei Rekos des Bw Halberstadt ein, aber die waren heute nicht unser Ziel.
Wir wurden statt dessen Ziel der hier zugestiegenen Trapo-Streife. Bald war uns klar, dass in Oschersleben üblicherweise die intensive Observierung der Reisenden begann. Alle Mitreisenden waren u.U. verdächtig, in Richtung Westgrenze unterwegs zu sein, um diese dann illegal zu überwinden.
Immer wieder die gleichen Fragen waren während der Personalausweiskontrolle zu beantworten. Woher, wohin, warum und vor allem, wo wollt Ihr übernachten. Hatte man da noch keinen Plan, was bei uns durchaus vorkam, folgte eine eindringliche Belehrung, die Grenzkreise am Abend wieder zu verlassen. Ich habe dort aber nie eine besonders unfreundliche Behandlung der Genossen der Transportpolizei erlebt, eher das Gegenteil, wie Ihr gleich erfahren werdet.
Halberstadt
Unser Tagesziel hieß Halberstadt. Die Kreisstadt im nördlichen Harzvorland war auch in den 80ern noch eine Hochburg der Rekoloks der BR 50.35. Auch im Herbst 1987 konnte man auf die formschönen Güterzugloks nicht verzichten und setzte im Bw Halberstadt und in dessen Einsatzstelle Oschersleben jeweils 3 Dampfloks planmäßig ein. Weitere dienten als Heizlok und etliche andere Maschinen waren bereits abgestellt.
Diese Fakten waren uns im Wesentlichen bekannt. Was fehlte, war aber eine genaue Übersicht über die gefahrenen Züge und die befahrenen Strecken. Ingo hatte zwar einen Umlaufplan in der Tasche, den ihm ein Brieffreund aus der Bundesrepublik aus dem LokReport abkopiert hatte. Aber der Plan galt nur bis Ende September und wir schrieben Oktober. Was war also übrig, vom Dampf über Halberstadt?
In Halberstadt traf unser Personenzug gegen 5.30 Uhr ein. Es war das erste Mal, dass wir diesen Bahnhof betraten und so schauten wir erstmal etwas orientierungslos um uns. Ich weiß nicht, wie lange wir schon ziellos dort waren.
Jetzt passierte etwas, das uns schon damals sehr verwunderte. Aber der Reihe nach.
Genau wie viele Bahnhöfe in der DDR, aber vor allem Stationen in Grenznähe bzw. an Strecken in Richtung Westgrenze, war der Bf. Halberstadt besonders gut und akribisch durch die Transportpolizei gesichert. Man musste schon großes Glück haben, wenn man einmal keine Streife der Trapo sah.
So passierte es auch uns, die wir ortsunkundig und noch etwas müde auf dem Bahnhof ankamen.
"Guten Morgen, die Personalausweise bitte...", oder ähnlich, wurden wir aus unseren Gedanken gerissen. Es folgte das schon aus dem Zug bekannte Spiel. Woher, wohin, warum und wo wollen sie übernachten. Man war geneigt, den Genossen zu erwidern, dass man den ganzen Text gerade 10 Minuten zuvor den Kollegen heruntergebetet hatte. Aber das wäre unklug gewesen und so zeigten wir bereitwillig unsere Dokumente vor und beantworteten die Fragen wahrheitsgemäß. Wir verschwiegen nicht einmal, dass wir in Halberstadt Dampfloks fotografieren wollten. Jugendliche Naivität? Harmloses Denken? Ich weiß nicht... Es hat uns aber auch später nie geschadet, die Fragen freundlich und ehrlich zu beantworten.
Die beiden Polizisten nahmen es ungerührt hin, dass wir unserem Hobby nachgehen wollten. Einer von uns, ich weiß heute nicht mehr wer, ließ sich hinreißen, nach dem Weg zum Bw zu fragen. "Was wollt Ihr denn dort?", kam sofort die etwas fordernde Frage des Gesetzeshüters. "Wir möchten dort erfragen, welche Züge noch mit einer Dampflok fahren.", erwiderten wir freundlich und wahrheitsgetreu. "Dafür möchten wir zur Lokleitung."
Der Polizist begann, den Weg zu beschreiben, stockte dann aber. "Das wird nichts, dort gibt es einen Pförtner. Der lässt Euch niemals zum Lokleiter."
Ob man da anrufen könne, unsere Frage?
"Nein, das hat keinen Zweck...", war der Polizist bemüht, uns zu helfen. Man wird Euch keine Auskunft geben."
Was tun? Wir sahen keine Chance, an die für uns so wertvollen Informationen zu kommen.
Da kam ein Lokführer den Bahnsteig entlang. Der Polizist beriet sich kurz mit seinem Streifenkollegen und hielt dann den Lokführer auf. Man kannte sich offenbar und beriet leise und für uns nicht verständlich eine Weile, begleitet von einigem Kopfnicken der 3 Diskutanten.
Der Polizist wandte sich uns wieder zu und machte uns ein unglaubliches Angebot. Man kann es heute kaum glauben, aber es war tatsächlich so.
"Der Eisenbahner muss auch zum Lokleiter, er nimmt Euch mit, auf dem Dienstweg durch die Gleise."
Wer den Bf. Halberstadt etwas kennt, wird wissen, wie weit der Weg war.
"Passt auf in den Betriebsgleisen und lasst Euch nicht so offensichtlich sehen! Vor allem, nehmt Euch vor dem Stellwerk da hinten in Acht..." er wies mir dem Finger in Richtung des großen Fahrdienstleiterstellwerks in östliche Richtung "...der Fahrdienstleiter dort, ist freiwilliger Helfer der Transportpolizei. Wenn der Euch meldet, müssen wir Euch zuführen, auch wenn wir nicht wollen. Viel Erfolg!"
Mit der üblichen Ehrenbezeugung an der Mütze verabschiedeten sich die beiden Polizisten von uns und gingen ihrem Tagewerk wieder nach.
Wir folgten dem Lokführer, der, seine schwere Tasche schleppend, schon ungeduldig auf uns wartete.
Durch die Gleisanlage ging es in Richtung Bw. Unser Blick war immer auf das "gefährliche" Stellwerk gerichtet. Züge und Rangierabteilungen fuhren vorbei. Dieses Gefühl, das mich in meinem Eisenbahnalltag heute völlig kalt lässt, hatte ich damals zum ersten Mal. Auf einem Weg unterwegs, der tabu ist und den Normalsterbliche nie betreten dürfen.
Viel Zeit für solche Gedanken ließ uns unser Scout nicht. Vorbei an den beiden Heizloks 50 3557 und 52 8150 erreichten wir das Bw-Gelände. Fotos konnten dabei natürlich nicht entstehen. Ich weiß heute nicht einmal mehr, ob eine der beiden Dampfloks angeheizt war. Die Zeit drängte unseren Begleiter.
Womöglich war ihm die Situation selbst unangenehm. Aber sicher wartete auch der Feierabend nach einer langen Schicht.
So standen wir schließlich in der Lokleitung des Bw Halberstadt. Es war voll dort. So gegen halb sieben war dort wohl Hochkonjunktur.
Wir hielten uns im Hintergrund und wollten den Dienstbetrieb natürlich nicht stören.
Wer schon einmal in einer Lokleitung gestanden hat, wird das Fluidum kennen. Es war ein ständiges Kommen und Gehen. Lokführer und sicher auch Heizer bzw. Beimänner in Uniform, aber auch mit ölverschmiertem Arbeitszeug wälzten die ausliegenden Unterlagen, quittierten die Kenntnisnahme und stellten sich am Fenster des Lokleiters an. Das muss man sich häufig wie einen Fahrkartenschalter mit Guckloch vorstellen. Dahinter saß der Herr über Dienste, freie- und Urlaubstage. Der Herr der Lokschlüssel und Umlaufpläne. Einer der wichtigsten Männer im Lokbetrieb eines jeden Bw, oft unterstützt durch weitere Kollegen. Es gab auch Lokleitungen mit offenem Tresen. Wie das damals in Halberstadt war, weiß ich heute nicht mehr. Aber voll war's.
Etwas verloren und mutlos standen wir in einer Ecke und wurden von den Eisenbahnern kaum wahrgenommen, auch wenn wir als Zivilisten sofort auffielen.
Irgendwann wurde es ruhiger. Das Gebrabbel aus Zug- und Loknummern, Namen, Gleis- und Ortsbezeichungen wurde leiser, ziemlich plötzlich waren wir fast allein und standen nun unserem erwarteten Gesprächspartner gegenüber. Der hatte uns zuvor noch gar nicht bemerkt und reagierte offensichtlich erstaunt. "Wo kommt Ihr denn her und was wollt Ihr hier?" war seine berechtigte Frage. Kleinlaut erwiderten wir: "Wir möchten uns erkundigen welche Züge noch mit Dampflok fahren." "Das darf ich Euch nicht sagen..."
"Warum???" "Es geht nicht..."
Waren wir so weit gekommen, sollten wir etwa aufgeben? Ingo holte den Zettel mit dem kopierten Umlaufplan aus der Tasche und legte ihn dem Lokleiter hin. Der berührte den Schriebs nicht, behandelte ihn wie Gift, war aber sichtlich verunsichert. Wir hatten ihm zuvor erzählt, dass wir aus Rostock bzw. Barth kämen.
Eine Auskunft war so nicht zu bekommen.
So versuchten wir es etwas hartnäckiger. Ingo wies mit dem Finger auf eine der Zugnummern auf dem Plan und fragte, ob der Zug noch mit der 50.35 fährt. Der Eisenbahner reagierte nicht. Dann eine weitere Nummer und der Lokleiter lehnte wieder ab. Alle guten Dinge sind drei. Jetzt nickte der Lokleiter mit dem Kopf. Der Zug wurde schnell markiert. Zug für Zug gingen wir jetzt den Plan durch und der Eisenbahner bestätigte durch Nicken oder Kopfschütteln.
"Dürfen wir im Bw fotografieren?" "Nein, auf gar keinen Fall, das gibt Ärger und seht zu, dass Ihr schnell vom Gelände verschwindet."
Nun aber nichts wie weg. Der Kollege wurde ungeduldig, wohl weil seine Helfer ihn misstrauisch beobachteten.
Auf dem Dienstweg durch die Gleise konnten wir das Bw nun unmöglich verlassen. Also gingen wir durch die Schleuse beim Pförtner. Die Pforte war zum Glück offen.
Der alte Pförtner bemerke uns natürlich und rief und wütend und drohend hinterher.
Ob er uns anzeigt?
Vorbei an der berühmten Halberstädter Wurstfabrik erreichten wir zu Fuß wieder den Bahnhof. Es passierte nichts. Keine Trapo interessierte sich für uns und wir frühstückten erstmal in der Mitropa.
Wenn es Euch nicht interessiert hat, so schreibt es mir. Wenn doch, dann kann ich meine Reise in nächster Zeit fortsetzen.
Viele Grüße
Euer Dampf - Achim Rickelt