Teil 4: Mariazellerbahn - Mit der Mh.6 in den Wallfahrtsort
Am Samstagnachmittag ging es weiter nach Ober-Grafendorf an der Mariazellerbahn. Hier öffnet der „Eisenbahnclub Mh.6“ an den Vortagen der Dampflokeinsätze zum Anbrennen der Mh.6 seine Tore und bot eine kurze Sonderfahrt auf dem Reststück der „Krumpe“ an. Für Sonntag den 09.08.2020 hatte auch ich ein Ticket für den Dampfzug auf der Mariazellerbahn und genoss die tolle Landschaft entlang der Strecke aber auch den tollen Sound der Mh.6 in den langen Steigungen.

Mh.6 sonnt sich am 08.08.2020 auf der Drehscheibe vor dem Heizhaus in Ober-Grafendorf. Es raucht zwar schon aus dem Kobelschornstein, das Feuer ist aber gerade erst entzündet worden und die Maschine hat es nur mit Hilfe der kleinen Verschublok zum Fototermin ins Freie geschafft. 

Im Gelände konnte ich auch eine U in der Originalausführung entdecken. Hierbei handelt es sich um die 298.54 (Baujahr 1898, Fabriknummer 3870, Krauss & Co. Linz). Leider ist der Zustand sehr schlecht und die Maschine stark verrostet. Man kann sogar schon an einigen Stellen durch die Seitenwände der Wasserkästen schauen und der Tritt unter dem Führerhaus hängt auch nur noch auf einer Seite am „seidenen Faden“ … 
Die Mariazellerbahn ist eine elektrifizierte Schmalspurbahn mit 760 mm Spurweite. Die 84,2 km lange Gebirgsbahn verbindet die niederösterreichische Landeshauptstadt St. Pölten mit dem steirischen Wallfahrtsort Mariazell. Ursprünglich führte sie weiter bis ins 7,1 km entfernte Gußwerk. Die Fahrt über die längste Schmalspurbahn Österreichs geht über 19 Viadukte und durch 21 Tunnel. Die Flachstrecke führt von St. Pölten über Ober-Grafendorf, Rabenstein und Kirchberg an der Pielach bis nach Laubenbachmühle (48,3 km). In Laubenbachmühle beginnt die spektakuläre Bergstrecke. Die nächsten acht Kilometer führt die Bahn erst an der linken Talseite des Nattersbachtals entlang um deutlich an Höhe gewinnend am Hang auf der gegenüberliegenden Seite wieder zurück zu fahren, so dass kurz vor Winterberg weit unten im Tal wieder Laubenbachmühle zu sehen ist. Bald folgt der 2.369 Meter lange Gösingtunnel, der längste Tunnel einer österreichischen Schmalspurbahn in dem gleichzeitig bei 892 m üb. NN der Scheitelpunkt der Strecke liegt. Brücken, Tunnel und tolle Aussichten auf den Ötscher-Naturpark und in die Erlaufschlucht sowie auf Lassing- und Erlaufstausee wechseln sich ab, bevor Mariazell erreicht wird. Hier https://upload.wikimedia.org/w…/Mariazellerbahn_map1.png ist auch ein Streckenplan zu finden.
Die Eröffnung des ersten Abschnitts der damals noch Pielachtalbahn genannten Strecke erfolgte am 04.07.1898 bis Kirchberg. 1905 wurde Laubenbachmühle und 1906 Mariazell (Güterverkehr) erreicht. Ab 02.05.1907 konnte auch der Personenverkehr bis Mariazell aufgenommen und im Sommer die Verlängerung bis Gußwerk fertiggestellt werden.

Eine weitere Zweigstrecke mit dem Spitznamen „Krumpe“ begann in Ober-Grafendorf und führte nach Gresten (62,3 km). Der Abschnitt Wieselburg an der Erlauf - Gresten wurde 1998 jedoch auf Normalspur umgebaut, die restlichen Abschnitte schrittweise bis zur Einstellung des letzten Abschnitts Ober-Grafendorf - Mank zum 11.10.2010 stillgelegt. Heute existiert neben einem bis kurz hinter St. Margarethen-Rammersdorf befahrbaren Teilstück noch das Heizhaus mit Rundschuppen und Drehscheibe in Ober-Grafendorf, beides vom „Eisenbahnclub Mh.6“ gepflegt und genutzt. Auf dem Foto schiebt die 20911.11 am 08.08.2020 zum Zwecke des Umsetzens ihren Sonderzug als Betriebsfahrt bis zur nächsten Weiche aus dem Haltepunkt St. Margarethen-Rammersdorf.

Untrennbar mit der Mariazellerbahn sind auch die bekannten Schmalspurelektroloks verbunden. Hier ist die 1099.001 abgestellt in Ober-Grafendorf zu sehen. Von Beginn an entwickelte sich der Verkehr nach Mariazell so gut, dass über eine weitere Leistungssteigerung nachgedacht werden musste. Es wurde der Beschluss gefasst die Mariazellerbahn zu elektrifizieren. Das war in sofern revolutionär, dass bisher noch keine hauptbahnähnlichen Bahnstrecken dieser Länge elektrisch betrieben wurde. Es gab nur leichte Straßen- und Lokalbahnen mit Gleichstrom und die seit 1904 mit Wechselstrom erbaute Stubaitalbahn. Bis 1911 wurde die Strecke elektrifiziert und 1910 bis 1914 16 E-Loks vom Typ E beschafft. Hersteller der 49 t schweren und 10.900 mm langen C`C`-Maschinen waren Krauss & Co. (mechanischer Teil) sowie Siemens-Schuckert (elektrischer Teil). Sie bestehen aus einem durchgehenden Lokkasten mit zwei dreiachsigen Drehgestellen, wobei jedes über einen fest gelagerten Fahrmotor über Vorgelegewelle und Kuppelstangen angetrieben wird. An jedem Ende befindet sich ein Führerstand und dazwischen der Maschinenraum mit den beiden Transformatoren und sonstigen Hilfsaggregaten. Damit ist diese Reihe auch der Urahn der modernen E-Loks. 1959 bis 1962 wurde die Reihe mit neuen Lokkästen, teilweise neuer elektrischer Ausrüstung und Druckluftbremse modernisiert. Erst 1981 schied die erste Lok 1099.15 nach einem schweren Unfall aus dem Bestand und wurde verschrottet. Im Dezember 2010 ging die Reihe auf den neuen Betreiber, die Niederösterreichische Verkehrsorganisationsgesellschaft (NÖVOG) über. Der Planeinsatz endete erst zum 27. Oktober 2013, womit die Maschinen die weltweit ältesten (Schmalspur-)Wechselstrom-Lokomotiven im planmäßigen Betrieb waren. Im Regelverkehr kommen seit 2013 moderne, dreiteilige Elektrotriebwagen von Stadler Rail (Markenname „Himmelstreppe“) zum Einsatz. Allerdings sind auch noch vier der alten E-Loks (E7, E10, E14 sowie die abgestellte E13) im Depot St. Pölten Alpenbahnhof vorhanden. Sie bespannen an ausgewählten Tagen den Nostalgiezug „Ötscherbär“ und stehen für Sondereinsätze zur Verfügung. Die 1099.01, 08, 11 und 16 wurden im Mai 2015 von der NÖVOG nach Ober-Grafendorf überstellt, die erste Lok der Reihe sogar an den „Eisenbahnclub Mh.6“ verkauft. 1099.02 kam als Ausstellungsstück in die Lokhalle Marchegg des Technischen Museums Wien, 1099.006 steht in Kirchberg an der Pielach als Denkmal. 1099.03, 04, 05, 09 und 12 wurden an die private Eisenbahnwerkstätte CFI in Rumänien verkauft, eine davon (1099.04) inzwischen als Fahrradwagen für die Waldbahn Moldovița umgebaut.

An ausgewählten Sonntagen wie dem 09.08.2020 ist die Dampflokomotive Mh.6 aus dem Jahr 1908 mit der Ötscherbärgarnitur unterwegs. Hier hat die Lok den Wallfahrtsort Mariazell erreicht und rollt unter wachsamen Blicken der Eisenbahnerinnen auf die Drehscheibe.


Die Loks der Bauart D2’h2St haben eine Länge über Puffer von 11.665 mm, 45,08 t Dienstgewicht, eine Höchstgeschwindigkeit von 40 km/h, 1,92 t Kohle- und 5 m3 Wasservorrat sowie 600 PS Leistung. Sie sind mit einem Stütztender der Bauart Engerth-Klose ausgestattet, so dass auch bei abnehmenden Vorräten das Reibungsgewicht der Maschinen nicht verändert wird. Zum Durchfahren der engen Bögen ist die zweite Achse seitenverschiebbar gelagert, die Treibachse spurkranzlos ausgeführt und die vierte Achse ebenfalls seitenverschiebbar unter Anlenkung durch den Stütztender.
Die Reihe Mh wurde für die Erweiterung der Bergstrecke bis nach Mariazell angeschafft, da die schwächeren Loks der Reihe U nun nicht mehr ausreichten. Krauss & Co. Linz lieferte 1906 vier Heißdampfloks (Mh.1 - Mh. 4) und 1907 zwei Loks als Nassdampf-Verbundausführung (Mv.1 und Mv.2). Die Maschinen wurden zunächst als Nr. 50 - 53 bzw. 54 und 55 in den Bestand eingeordnet. Da sich die Mh besser bewährten folgten 1908 noch zweite weitere Heißdampfloks, inzwischen als Mh.5 und Mh.6 bezeichnet und mit einem Kobelschornstein ausgerüstet. Wegen der durch das weiter steigende Verkehrsaufkommen rasch umgesetzten Elektrifizierung der Mariazellerbahn wurden die Maschinen bald auf die Zweigstrecke ab Ober-Grafendorf verdrängt. Einzelne Loks wurden zwischendurch auch immer wieder zu anderen Bahnen umbeheimat bzw. verliehen, so z. B. im ersten Weltkrieg zu den Bosnisch - Herzegowinischen Staatsbahnen, zur Waldviertelbahn, zur Ybbstalbahn, zur Pinzgaubahn und zu den Steiermärkische Landesbahnen.
Bei der ÖBB bekamen die Loks 1952 die Nummern 399.01 – 399.06 bzw. 299.01 und 299.02. Die beiden Verbundmaschinen wurden bis 1961 auf der Waldviertelbahn eingesetzt, waren anschließend nur noch Reserve auf der Mariazellerbahn. 1964 (299.01, heute als 98550-2 bei der Pinzgauer Lokalbahn) bzw. 1973 (299.02, heute als 98551 bei der NÖVOG in St. Pölten Alpenbahnhof) wurden sie schließlich ausgemustert und die Rahmen genutzt um darauf Klima-Schneepflüge aufzubauen.
Neben den auslaufenden Einsätzen auf der „Krumpe“ mit erscheinen der Dieselloks der Reihe 2095 in den 1960er-Jahren fuhren die Loks der Reihe Mh auch wieder auf der Waldviertelbahn, der Ybbstalbahn, der Pinzgaubahn und der Vellachtalbahn. Ab 1970 wurden die Maschinen auf der Waldviertelbahn konzentriert. Auch hier erfolgte seit Einstellung der Bregenzerwaldbahn 1982 vermehrt der Einsatz von Dieselloks, bis 1986 fanden aber dennoch umfangreiche Planeinsätze statt und auch in den Folgejahren standen bis zur endgültigen Einstellung des täglichen Verkehrs 2001 immer wieder Mh im Einsatz vor Touristenzügen und als Reserve.
Heute sind noch alle Mh erhalten:
- 399.01 war in den 1990er-Jahren im Pinzgau vor Touristenzügen im Einsatz, ist inzwischen aber als Mh.1 wieder im Waldviertel für die NÖVOG im Einsatz vor den regelmäßigen Dampfzügen.
- 399.02 wurde 2014 von der NÖVOG an die Salzburg AG verkauft und ist im Pinzgau als Ersatzteilspender für Mh.3.
- Mh.3 ging 2008 im Tausch gegen 399.01 zur Pinzgauer Lokalbahn (Salzburg AG/SLB) und zieht regelmäßig die Dampfzüge auf der Strecke zwischen Zell am See und Krimml.
- Ebenfalls noch im Waldviertel ist die NÖVOG-Lok Mh.4, welche 2015 im Dampflokwerk Meiningen wieder betriebsfähig aufgearbeitet wurde.
- 399.05 gelangte über eine Privatperson 2009 an die ÖGEG, ist die einzige Mh noch in ÖBB-Optik, steht hinterstellt in Waldneukirchen an der Steyrtalbahn und wartet dort auf bessere Zeiten und eine Aufarbeitung.
- Mh.6 kam 1987 als Museumslok zurück zur Mariazellerbahn. Seitdem wird sie vom Eisenbahnclub Mh.6 in Ober-Grafendorf gepflegt und regelmäßig vor den Dampfzügen durch die NÖVOG eingesetzt. 1989 wurde sie vom Verein komplett zerlegt und bis 1993 wieder in ihrem Ursprungszustand aufgebaut.

Auf dem Rückweg entdeckte ich
aus dem Zug heraus in Rabenstein a. d. Pielach die Diesellok V9 mit einem
Arbeitszug. Zwischen 1958 und 1962 wurden die 15 Lokomotiven der Reihe 2095 mit
der Achsfolge B’B’ für die 760mm-Schmalspurbahnen der ÖBB zur Ablösung der
Dampfloks in Dienst gestellt. Sie wurden von der Firma Simmering-Graz-Pauker in
Wien Florisdorf gebaut. Elf Lokomotiven sind noch in Österreich, sechs davon bei
der NÖVOG auf der Mariazellerbahn und im Waldviertel.

Außerdem ergab sich in St. Pölten Alpenbahnhof die Gelegenheit die E7 beim Rangieren abzulichten. Hier befindet sich eine der Werkstätten der Bahn. Die „Himmelstreppen“ sind hingegen in Laubenbachmühle beheimatet und werden dort in der neu errichteten Werkstatthalle, in die der Bahnhof integriert ist, gewartet.

Nachdem die Mh.6 ihren Zug nach St. Pölten und die Wagen zum Alpenbahnhof gebracht hat, kehrt sie mit dem Begleitwagen zurück nach Ober-Grafendorf. Im Bahnhof wartet sie im letzten Sonnenlicht darauf in den Anschluss zum Depot und in den wohlverdienten Feierabend zu fahren.
Damit gehen ein paar schöne Tage bei den kleinen Eisenbahnen unseres Nachbarlandes zu Ende. Ich hoffe der kleine Ausflug in die österreichische Schmalspurgeschichte hat ein wenig gefallen.
Viele Grüße und bis bald
Christian
Quellen:
Beier, R.: Reihe U, Stuttgart 2001
http://edition99.de/galerien/oesterreich/mariazellerbahn/ [Zugriff am 08.11.2020]
http://www.m6.at/de/ [Zugriff am 08.11.2020]
https://www.presskurier.de/168…bahn-diesellok-reihe-2095 [Zugriff am 08.11.2020]
http://www.schmalspur-europa.at/ [Zugriff am 31.10.2020]
http://www.schmalspur-europa.at/schmalsp_21.htm [Zugriff am 08.11.2020]
https://de.wikipedia.org/wiki/N%C3%96LB_Mh [Zugriff am 08.11.2020]
https://de.wikipedia.org/wiki/…rafendorf%E2%80%93Gresten [Zugriff am 08.11.2020]
https://de.wikipedia.org/wiki/Mariazellerbahn [Zugriff am 08.11.2020]